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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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ist etwas Sicheres.«
    Vati wollte aber auf keinen Fall Beamter werden. »Alle zehn Jahre Beförderung, und mit fünfundsechzig Bauch und Pension – nein danke!«
    Mithin war Vati das schwarze Schaf der Familie, denn ich entstammte einer wahren Beamtenhierarchie. Bekanntlich gab es eine Zeitspanne, während der man seine arische Abstammung nachzuweisen hatte, und im Zuge dieser Ahnenforschung entdeckten wir, daß meine Vorfahren alle irgendeinen Beamtenstatus innegehabt hatten.
    Da hatte es in Aschersleben einen Nachtwächter gegeben und in Stendal einen Stadtschreiber, ein Zollbeamter war daruntergewesen und ein Stadtverweser, was immer das auch gewesen sein mag. Väterlicherseits ließ sich der Stammbaum noch weiter zurückverfolgen. Der erste nachweisliche ›Beamte‹ dürfte der Hofarzt eines mecklenburgischen Fürsten gewesen sein, der seinem Medicus später eine Leibrente ausgesetzt hatte – in die heutige Sprache transportiert, also: eine Pension.
    Als ich später vor der Berufswahl stand und mich für den Journalismus entschied, war mein Großvater sichtlich enttäuscht. »Wenn du schon unbedingt zur schreibenden Zunft willst, dann geh wenigstens nach Bonn. Die Regierung braucht ja auch Schreiberlinge. Vielleicht wird doch noch eine Beamtin aus dir.«
    Ich wurde keine. Und was noch viel schlimmer war: Ich habe nicht mal einen Beamten geheiratet! Meinen Großvater nannte ich Opa, denn ich hatte ja nur einen. Dafür besaß ich neben Omi bekanntlich noch eine Urgroßmutter, zu der ich Oma sagte; und so wurde die väterliche Großmutter Omimi gerufen, was etwas albern klang, mir aber die Unterscheidungen der diversen Omas wesentlich erleichterte.
    Omimi mochte ich nicht besonders. Sie war etwas verschlossen, fand zu Kindern keinen rechten Kontakt und setzte Omis Erziehungsmaßnahmen in erweitertem Umfang fort.
    »Ein gut erzogenes Kind erhebt sich von seinem Platz, wenn ein Erwachsener das Zimmer betritt!« Also hüpfte ich künftig wie ein Stehaufmännchen auf meinem Stuhl herum.
    »Es sieht sehr unschön aus, wenn kleine Mädchen mit zerzausten Haaren herumlaufen.« (Omi hatte vor meinem ständigen Wuschelkopf bereits seit langem kapituliert).
    »Man umklammert eine Kuchengabel nicht wie einen Zaunpfahl.«
    »Man streckt anderen Kindern nicht die Zunge heraus!«
    »Man sagt nicht …«
    Nein, also für Omimi hatte ich nicht allzuviel übrig. Außerdem setzte sie uns bei den sonntäglichen Mahlzeiten häufig Grünkohl vor, den ich verabscheute, aber trotzdem hinunterwürgen mußte, weil ich ja gut erzogen war. Meinen Großvater dagegen liebte ich und schaute bewundernd zu ihm auf. Man kann das ruhig wörtlich nehmen, denn er war mit seinen 1.82 Metern die überragendste Person der gesamten Familie. Haare hatte er nicht mehr, dafür aber einen kleinen grauen Schnurrbart und eine Taschenuhr mit zwei Deckeln, auf die ich schon damals Erbansprüche erhob. Opa regierte seinen Haushalt mit der gleichen Konsequenz, für die er auch in seinem Büro bekannt war. Fehler duldete er nicht. Regelmäßig kontrollierte er Omimis Haushaltsbuch, und wenn er auf den Posten ›Sonstiges‹ stieß, forschte er nach. »Sonstiges gibt es nicht!« behauptete er steif und fest.
    »Ich weiß aber wirklich nicht mehr, wofür ich die eine Mark fünfundzwanzig ausgegeben habe«, sagte Omimi, »ich kann mir doch nicht alles merken.«
    Irgendwann gestand sie dann aber doch, daß ›Sonstiges‹ ein Haarnetz gewesen war, worauf Opa keineswegs das neue Haarnetz bemängelte, sondern lediglich die Fehlbuchung seiner Frau. »Derartige Dinge gehören zur Kategorie Kleidung und sollten extra verbucht werden.«
    Alle Vierteljahre verglich er die verbrauchte Menge bestimmter Artikel mit den Einkäufen des vergangenen Quartals. Erschien ihm der Unterschied zu groß, so forschte er nach der Ursache des gestiegenen Verbrauchs. Das geschah übrigens nicht aus Sparsamkeit – denn er war alles andere als geizig –, sondern nur aus Prinzip. Im Rahmen dieser Buchführung entdeckte er einmal, daß sich die Ausgaben für Toilettenpapier fast um das Doppelte erhöht hatten, und er ordnete Zurückhaltung an.
    »Jetzt wische ich ihm aber doch mal eins aus!« sagte meine Mutter, und weil Opa wenige Tage später Geburtstag hatte, kaufte sie eine 400-Blatt-Rolle Klopapier, numerierte die einzelnen Blätter, rollte die Papierschlange wieder zusammen, umhüllte das Ganze mit grünem Blumenkrepp, stopfte ein Alpenveilchen hinein und überreichte dieses Arrangement
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