Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
von Spendenfreude schon längst beim Roten Kreuz abgeliefert oder selber wiederverwertet, indem man aus zwei alten Kleidern ein neues schneiderte. Tante Else hatte es in dieser Kunst schon zu beachtlichen Fähigkeiten gebracht.
    Das anfangs noch ganz interessante, später verhaßte Altpapiersammeln spielte sich nach festen Regeln ab. Jeweils zwei Schulkinder pilgerten von Tür zu Tür und leierten ihr Sprüchlein herunter, in dem so gewichtige Worte wie ›vaterländische Pflicht‹ und ›Volksbewußtsein‹ vorkamen. Je nach Temperament der Angesprochenen bekamen wir entweder drei oder vier alte Zeitungen ausgehändigt, oder uns wurde die Tür vor der Nase zugeschlagen, wobei nicht immer sehr freundliche Bemerkungen fielen. »Verdammte Bettelei« oder »ick brauch det Käseblatt selba, det kommt jeden Abend uffn Lokus!« waren noch die harmlosesten und keineswegs von Vaterlandsbegeisterung geprägt.
    Unsere erbeuteten Schätze trugen wir zu dem alten Kinderwagen, mit dem wir immer herumzogen und der ständig vom dritten Mitglied unserer Gruppe bewacht werden mußte. Schließlich hausierten ja nicht nur wir allein, und Raubzüge von anderen Sammlern kamen gelegentlich vor.
    Einmal wöchentlich karrten wir unsere Ausbeute zur Schule, wo sie gewogen, die ermittelten Kilogramm in Punkte umgerechnet und in ein Buch eingetragen wurden. Am Jahresende erhielten die besten Sammler eine öffentliche Belobigung und ein Exemplar von Hitlers ›Mein Kampf‹.
    Ich habe übrigens nie eines bekommen, aber wir hatten sowieso schon zwei. »Das eine hat Vati mal bei einem Tennisturnier gewonnen«, sagte meine Mutter und stellte das bedeutende Werk wieder in den Bücherschrank, »im Jahr davor hatte es noch Pokale gegeben. Na ja, und das hier« – damit präsentierte sie mir ein Prachtexemplar in Ledereinband – »habe ich von meinem Patenonkel zum Geburtstag bekommen. Dabei hatte ich ausdrücklich gesagt, welche Handschuhgröße ich habe und daß Braun meine Lieblingsfarbe ist.«
    Die lobende Erwähnung im Zeugnis hatte ich der Tatsache zu verdanken, daß ich kurzerhand sämtliche Sportzeitschriften, die Vati im Keller gestapelt hatte, requirierte und heimlich ablieferte. Dasselbe machte ich mit Omis Kundenzeitungen. Die sammelte sie nämlich, weil sie alle darin enthaltenen Romane erst dann las, wenn auch die letzte Fortsetzung vorlag.
    Dann begann die Aktion Knüllpapier, und jetzt platzte endlich auch Omi der Kragen. »Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß du für andere Leute den Müll zusammenklaubst! Wenn die da oben den Krieg nicht ohne leere Mehltüten gewinnen können, dann sollen sie ihn beenden.«
    Unter Knüllpapier verstand man nämlich jede Art von Papierabfällen, angefangen von Briefumschlägen bis zu Einwickelpapier von Fleisch und Butter. Dieses nicht gerade appetitliche Altmaterial sollten wir nun noch sammeln.
    »Reni, du schreibst dem Kind eine Entschuldigung!« befahl Omi, und meine Mutter schrieb eine. Sie hat noch sehr viele geschrieben, und die immer variierenden Begründungen, weshalb ich mal wieder nicht meiner Sammelpflicht nachgekommen war, stellten nicht unerhebliche Anforderungen an Mamis Fantasie. Eine weitere, speziell von uns Kindern sehr beklagte Auswirkung des Krieges war die Tatsache, daß es jetzt so viele Leute mit amtlichen Funktionen gab, und alle wollten uns irgend etwas verbieten.
    Bisher hatten wir uns lediglich mit dem Hauswart – in Berlin ›Portjeh‹ genannt – auseinanderzusetzen gehabt, aber dessen Spielregeln kannten wir. Das Betreten der Vorgärten war natürlich verboten, im übrigen auch nicht empfehlenswert, denn Hagebuttensträucher pieken. Trotzdem drangen wir manchmal in das Gestrüpp, und prompt erschien Herr Lehmann auf der Bildfläche.
    »Ick hab’ euch schon hundertmal jesacht, det ihr nicht in die Anlagen sollt. Die sind bloß für die Oogen und nich für euch Rotzneesen!«
    »Mir ist aber der Ball reingefallen«, entschuldigte ich mich.
    »Denn mußte’n ebent liejenlassen. Nächste Woche kommt wieder der Järtner, der holt’n denn schon.«
    Verboten war auch das Abstellen von Rollern und Puppenwagen im Hausflur. Selbige Gefährte gehörten in den Keller; nur hielt sich niemand an diese Anordnung. Stolperte Herr Lehmann mal wieder über ein Dreirad – er stolperte immer und als einziger –, dann griff er sich das Hindernis und schleppte es eigenhändig in den Keller. Fünf Minuten später stand es wieder im Flur. Mümmchens Gebrüll wegen des vermeintlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher