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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer
Autoren: Anne Perry
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    »Guten Morgen, Monk«, sagte Runcorn. Ein zufriedener Ausdruck trat in seine ausgeprägten, leicht verbissenen Züge. Sein Flügelkragen saß etwas schief und schien ihn von Zeit zu Zeit zu kneifen. »Fahren Sie in die Queen Anne Street. Sir Basil Moidore.« Er sprach den Namen aus, als wäre er ihm altvertraut, und beobachtete dabei Monks Gesicht, um etwaige Anzeichen von Unkenntnis darin zu entdecken. Als er auf nichts dergleichen stieß, fuhr er um einiges gereizter fort: »Octavia Haslett, Sir Basils verwitwete Tochter, wurde erstochen aufgefunden. Sieht so aus, als ob sie einen Einbrecher dabei erwischt hätte, wie er sich gerade ihren Schmuck unter den Nagel reißen wollte.« Sein Lächeln wurde hart. »Es heißt, Sie wären unser bester Mann - also machen Sie sich auf die Socken, und stellen Sie sich diesmal geschickter an als im Mordfall Grey!«
    Monk wußte genau, was er damit meinte. Reg bloß die Familie nicht auf; das sind Leute von Stand - ganz im Gegensatz zu uns. Sei absolut respektvoll, nicht nur bezüglich deiner Worte oder deines Auftretens, sondern vor allem, was deine Entdeckungen anbelangt.
    »Jawohl, Sir. Welche Hausnummer in der Queen Anne Street?«
    »Zehn. Und nehmen Sie Evan mit. Bis Sie dort eintreffen, gibt es vermutlich irgendeine Meinung von ärztlicher Seite, was den Todeszeitpunkt und die Beschaffenheit der Mordwaffe anbelangt. Na los, Mann. Stehen Sie hier nicht rum! An die Arbeit!«
    Monk machte auf dem Absatz kehrt, um Runcorn keine Zeit für weitere Bemerkungen zu lassen, und stolzierte aus dem Raum; sein »Ja, Sir« war kaum zu hören. Er zog die Tür so geräuschvoll hinter sich ins Schloß, daß es an ein Zuknallen grenzte.
    Auf der Treppe kam ihm Evan entgegen. Sein sensibles Gesicht leuchtete erwartungsvoll.
    »Ein Mord in der Queen Anne Street.« Monks Unmut verflog. Von allen Menschen, an die er sich erinnern konnte, war Evan ihm der liebste. Da sich sein Erinnerungsvermögen ohnehin nur bis zu jenem Morgen vor vier Monaten erstreckte, als er im Krankenhaus die Augen aufgeschlagen und seinen Aufenthaltsort im ersten Moment für ein Armenhaus gehalten hatte, war ihm die Freundschaft zu seinem jungen Kollegen besonders wichtig. Außerdem vertraute er Evan, eine der beiden einzigen Personen, die über die völlige Leere in seinem Leben Bescheid wußten. Die andere, Hester Latterly, war kaum als Freund zu bezeichnen. Sie war eine beherzte, intelligente und ausgesprochen starrköpfige Nervensäge, die sich im Mordfall Grey als große Hilfe erwiesen hatte. Ihr Vater war eins der Opfer gewesen. Sie hatte ihre Betätigung als Krankenschwester auf der Krim aufgegeben, um der Familie beizustehen, zumal der Krieg zu dem Zeitpunkt im Grunde bereits vorüber gewesen war. Es war recht unwahrscheinlich, daß Monk ihr je wieder begegnen würde - ausgenommen, sie wurden beide zu Menard Greys Gerichtsverhandlung geladen, um ihre Zeugenaussagen zu machen, was wiederum in seinem Interesse lag. Ansonsten war sie ihm zu schroff und zu unweiblich - ganz anders als ihre Schwägerin, deren Gesicht immer noch, verbunden mit bittersüßer Sehnsucht, ab und zu vor seinem geistigen Auge auftauchte.
    Evan drehte um und folgte ihm. Sie gingen gemeinsam die Treppe hinunter, durch den Bereitschaftsraum, und traten auf die Straße hinaus. Es war ein klarer, stürmischer Novembertag. Der Wind zerrte an den weiten Röcken der Frauen; ein männlicher Passant machte einen Satz zur Seite und hielt dabei mit einiger Mühe seinen Zylinder fest, als ein Gefährt an ihm vorbeiratterte und er dem unter den Rädern wegspritzenden Schlamm und Unrat ausweichen wollte. Evan hielt einen Hansom an, eine neuartige Droschke, die es erst seit neun Jahren gab und die wesentlich bequemer war als die altmodischen Kutschen.
    »Queen Anne Street«, rief er dem Fahrer zu. Sobald er und Monk ihre Plätze auf der Sitzbank eingenommen hatten, setzte sich die Droschke in Bewegung. Sie überquerten die Tottenham Court Road, fuhren erst am Portland Place, dann am Langham Place vorbei, bogen in die Chandos Street und schließlich in die Queen Anne Street ein. Monk erzählte Evan während der Fahrt, was Runcorn gesagt hatte.
    »Wer, bitte, ist Sir Basil Moidore?« erkundigte sich Evan arglos.
    »Keine Ahnung«, gestand Monk. »Darüber hat er sich nicht ausgelassen.« Er schnaubte. »Entweder weiß er es selbst nicht, oder er überläßt es uns, das herauszufinden - vorzugsweise indem wir einen Fehler machen.«
    Evan grinste. Er war
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