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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer
Autoren: Anne Perry
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und die Schmierspuren auf dem Laken gesehen hatte, wo eigentlich eine große Lache hätte sein müssen. »Waren Sie das?«
    »Nein.« Faverell schüttelte den Kopf. »Ich habe nur den Vorhang aufgemacht.« Er ließ den Blick über den Boden schweifen. Das Teppichmuster bestand aus dunklen Rosen. »Da! Er wies auf eine Stelle. »Das könnte Blut sein, und der Stuhl da drüben hat eine Schramme. Die arme Frau hat sich ziemlich gewehrt, nehme ich an.«
    Auch Monk sah sich um. Mehrere der Utensilien auf der Frisierkommode machten einen verbogenen Eindruck, aber es war schlecht zu sagen, ob es sich dabei um die eigentliche Form handelte oder nicht. Eine geschliffene Glasschale war jedoch eindeutig zerbrochen, und auf dem Teppich lagen an der Stelle vertrocknete Rosenblätter. Wegen des eingewobenen Blumenmusters bemerkte er sie erst jetzt.
    Evan ging zum Fenster.
    »Angelehnt«, sagte er, während er es versuchsweise öffnete.
    »Das war ich«, warf der Arzt ein. »Als ich kam, stand es sperrangelweit offen - war verdammt kalt hier drin. Keine Bange, hab ich natürlich berücksichtigt, was die Leichenstarre betrifft. Das Mädchen meint, es hätte schon offen gestanden, als sie mit dem Frühstückstablett ins Zimmer kam, obwohl Mrs. Haslett gewöhnlich bei geschlossenem Fenster schläft. Danach habe ich mich bereits erkundigt.«
    »Danke vielmals«, gab Monk trocken zurück.
    Evan stieß das Fenster bis zum Anschlag auf und streckte den Kopf hinaus.
    »Da wächst irgendein Kletterzeug, Sir. An manchen Stellen ist es zerquetscht, und ein paar Blätter sind abgerissen, als ob jemand draufgestiegen wäre.« Er lehnte sich noch ein Stück weiter vor. »Außerdem ist hier ein Mauersims, das geradewegs zur Regenrinne führt. Ein sportlicher Mann könnte ohne große Schwierigkeiten daran entlangklettern.«
    Monk trat neben ihn. »Aber warum ausgerechnet in dieses und nicht ins nächste Zimmer?« wunderte er sich. »Das liegt wesentlich näher bei der Regenrinne. Wäre viel leichter und risikoloser zu erreichen gewesen.«
    »Vielleicht wohnt dort ein Mann?« schlug Evan vor. »Kein Schmuck - nicht soviel wenigstens; höchstens eine silberne Bürste und silberne Manschettenknöpfe, aber nichts verglichen mit dem Sammelsurium einer Frau.«
    Monk ärgerte sich, daß er nicht selbst daraufgekommen war. Er zog den Kopf wieder ein und fragte den Arzt: »Können Sie uns sonst noch was sagen?«
    »Nein, nichts. Tut mir leid.« Er machte einen gequälten, unglücklichen Eindruck. »Wenn Sie wollen, schreibe ich einen Bericht, aber jetzt muß ich los, mich um meine Patienten kümmern. Guten Tag.«
    »Guten Tag.« Monk begleitete ihn auf die Galerie. »Sprechen Sie mit dem Mädchen, das sie gefunden hat, Evan, und überprüfen Sie anschließend mit der Kammerfrau, ob etwas fehlt - insbesondere Schmuck. Später können wir uns dann bei den Pfandleihern und Hehlern umsehen. Ich werde mich erst einmal mit den Familienmitgliedern unterhalten, die in diesem Stockwerk schlafen.«
    Wie sich herausstellte, gehörte das angrenzende Zimmer Cyprian Moidore, dem älteren Bruder der Toten. Der Raum war überladen möbliert, aber angenehm warm. Die für das Erdgeschoß zuständigen Mädchen hatten vermutlich lange vor Viertel vor acht den Kamin gesäubert, die Teppiche mit Sand gescheuert und gefegt und Feuer gemacht, ehe sich ihre für den oberen Bereich zuständigen Kolleginnen auf den Weg machten, um die Familie zu wecken.
    Cyprian Moidore glich seinem Vater in Körperbau und Haltung aufs Haar. Auch die Gesichtszüge waren ähnlich: die kurze, kräftige Nase, der breite, überaus bewegliche Mund, der bei einem weniger beherrschten Menschen leicht unverschämt hätte werden können. Nur sein Blick war sanfter und das Haar noch gleichmäßig dunkel.
    Momentan machte er einen absolut desolaten Eindruck.
    »Guten Morgen, Sir«, begann Monk, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
    Cyprian gab keine Antwort.
    »Ist es richtig, Sir, daß Sie das Schlafzimmer neben dem von Mrs. Haslett bewohnen?«
    »Ja.« Cyprian sah ihm voll in die Augen; es lag keinerlei Streitlust in seinem Blick, nur tiefe Erschütterung.
    »Um wieviel Uhr haben Sie sich zurückgezogen, Mr.
    Moidore?«
    Cyprian runzelte die Stirn. »Gegen elf, vielleicht auch ein paar Minuten danach. Ich habe nicht das geringste gehört, falls es das ist, worauf Sie hinauswollen.«
    »Und Sie blieben die ganze Nacht in Ihrem Zimmer, Sir?« Monk versuchte die Frage so zu stellen, daß sie am
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