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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer
Autoren: Anne Perry
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diesen Fall richten. Er mußte erfolgreich sein, ohne daß man merkte, wie blind er herumtappte, wie oft er lediglich mutmaßen konnte und Fragmente von dem zusammenstückelte, was man für sein Wissen hielt. Sollten sie ruhig in dem Glauben bleiben, er würde mit den Verbindungen zur Unterwelt arbeiten, die jeder gute Detektiv besaß. Sein Ruf war ausgezeichnet; man erwartete geistige Brillanz von ihm. Er sah es in ihren Augen, hörte es aus ihren Worten heraus, erkannte es an der beiläufigen Art, wie sie ihn lobten, als würden sie lediglich das Offensichtliche feststellen. Außerdem wußte er, daß er sich zu viele Feinde gemacht hatte, um sich einen Fehler leisten zu können. Das war zwischen ihren Sätzen, in der Betonung einer Bemerkung, in den Spitzen und der anschließenden Nervosität, den plötzlich abgewandten Blicken. Schritt für Schritt gelang es ihm dahinterzukommen, was er in den vergangenen Jahren verbrochen hatte, womit er diese Angst und Abneigung, diesen Neid auf sich zog. Nach und nach fand er immer mehr Beweise für seinen außergewöhnlichen Spürsinn, seinen Instinkt, die gnadenlose Verfolgung der Wahrheit, den treibenden Ehrgeiz, die Unduldsamkeit gegenüber Faulheit und Schwäche von anderen und dem eigenen Versagen. Darüber hinaus hatte er natürlich trotz seiner durch den Unfall bedingten schwachen Position den extrem kniffligen Mordfall Grey gelöst.
    Sie hatten die Bibliothek erreicht. Phillips öffnete die Tür, kündigte sie an und trat einen Schritt zurück, um sie einzulassen. Der im alten Stil eingerichtete Raum war bis zur Decke mit Bücherregalen versehen. Große Erkerfenster ließen helles Licht herein, was zusammen mit dem grünen Teppich und den grünen Polstermöbeln fast die Illusion eines Gartens schuf.
    Doch jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, die Umgebung zu studieren. Basil Moidore stand mitten im Raum. Er war groß, hatte einen seltsam nachgiebigen, schwachen Knochenbau, ohne den geringsten Ansatz zum Dicksein zu zeigen, und hielt sich auffallend gerade. Man konnte ihn unmöglich als gutaussehend bezeichnen. Seine Züge waren zu beweglich, die tiefen Linien um den übergroßen Mund zeugten eher von Hemmungslosigkeit und Jähzorn als von Weisheit und Verstand. Die Augen waren verblüffend dunkel, nicht besonders schön, aber unglaublich durchdringend und hochintelligent. Das kräftige, glatte Haar war mit einer ordentlichen Portion Grau gespickt. Momentan schien er sowohl verärgert als auch tieferschüttert.
    Er war blaß und ballte unaufhörlich die Hände zu Fäusten, um sie gleich darauf wieder zu öffnen. »Guten Morgen, Sir.« Monk stellte sich und Evan vor. Er haßte es, Leute zu vernehmen, die soeben erst einen nahestehenden Menschen verloren hatten - und es war besonders scheußlich, den Tod des eigenen Kindes zu erleben -, aber er war daran gewöhnt.
    Keine Amnesie konnte die Vertrautheit mit dem Leid auslöschen; er erkannte den nackten Schmerz bei anderen.
    »Guten Morgen, Inspektor«, gab Moidore mechanisch zurück.
    »Ich will verdammt sein, wenn ich wüßte, wie Sie uns weiterhelfen könnten, aber ich schätze, Sie sollten es wenigstens versuchen. Irgendein brutaler Ganove ist letzte Nacht hier eingebrochen und hat meine Tochter ermordet. Mehr können wir Ihnen auch nicht sagen.«
    »Dürften wir einen Blick in den Raum werfen, wo es passiert ist, Sir?« fragte Monk ruhig. »Ist der Arzt schon da?«
    Die buschigen Augenbrauen wölbten sich verblüfft. »Ja - wenn mir auch beim besten Willen nicht klar ist, wozu er jetzt noch gut sein soll.«
    »Er kann den Todeszeitpunkt und die Todesart bestimmen, Sir.«
    »Sie wurde irgendwann im Lauf der Nacht erstochen. Um das festzustellen, braucht es keinen Arzt.« Sir Basil atmete tief ein und ganz langsam wieder aus. Sein Blick streifte ziellos durch den Raum; er war unfähig, Monk weiteres Interesse entgegenzubringen. Der Inspektor und Evan waren lediglich Randfiguren, rein zufällig in diese Tragödie hineingeraten, und er war viel zu geschockt, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können. Immer wieder lenkten ihn nebensächliche, alberne Dinge ab: ein Bild, das schief an der Wand hing, ein Sonnenstrahl, der den Titel eines Buches einfing, die Vase mit den späten Chrysanthemen auf dem kleinen Tisch. Monk las es in seinem Gesicht und begriff.
    »Einer der Bediensteten kann uns hinbringen.« Monk entschuldigte sich, und Evan wandte sich zum Gehen.
    »Oh… ja, gut. Man soll Ihnen alles zur
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