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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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Jahre zu alt war. Außerdem bewertete sie weniger die Leistungen ihrer Schülerinnen, sondern eher deren sozialen Status.
    Ihr erklärter Liebling war Ingrid. Sie war nicht nur adelig, ihr Vater gehörte als Luftwaffenoberst sogar zum Generalstab, und deshalb zählte sie in Fräulein Luhdes Augen zu den Privilegierten der Klasse. Sie wurde automatisch Vertrauensschülerin (heute sagt man Klassensprecher), hatte das Klassenbuch zu verwalten, Schwatzliesen zu melden, und die Diktathefte ins Lehrerzimmer zu bringen. Mangelnde Intelligenz glich sie durch Hochnäsigkeit aus; aber sie galt offiziell als Klassenbeste und glaubte es bald selber.
    Besonderer Gunst erfreute sich auch Ilse, obwohl sie hinten bloß Schulze hieß. Aber ihr Vater besaß eine Fabrik für irgendwelche kriegswichtige Erzeugnisse; er ließ seine Tochter immer mit dem Auto von der Schule abholen, und manchmal durfte Fräulein Luhde mitfahren.
    »Wir haben ja fast den gleichen Weg«, entschuldigte sie diesen offensichtlichen Gunstbeweis.
    Ilse war auch die einzige, die unserer Lehrerin jeden Sonnabend ein Päckchen aufs Katheter legte, wobei sie immer sehr beziehungsreich lächelte.
    »Was is’n da drin?« wollten wir natürlich wissen.
    »Seid doch nicht so neugierig«, wehrte Ilse ab und preßte das geheimnisvolle Päckchen vorsichtshalber gegen die Brust. »Mein Vater hat gesagt, das geht euch überhaupt nichts an!«
    Einmal fiel es aber doch herunter, platzte auf, und heraus rollten Kaffeebohnen. Jetzt wußten wir endlich, weshalb Ilse immer Zweien schrieb.
    Omi war bestrebt, aus mir eine Musterschülerin zu machen. Hatte ich die Hausaufgaben nicht sorgfältig genug erledigt, was nach ihrer Ansicht meistens der Fall war, dann wischte sie mein Geschreibsel kurzerhand wieder aus, und ich mußte von vorne anfangen. Als ich über das Schiefertafel-Stadium hinaus war und Hefte benutzte, riß sie die beanstandeten Seiten kurzerhand heraus. Meine Hefte litten an chronischer Schwindsucht. Beschwerte ich mich abends bei meiner Mutter, die nach ihrer Rückkehr meist als seelischer Mülleimer herhalten mußte, dann erntete ich immer ein verständnisvolles Zwinkern.
    »Nimm’s nicht so tragisch. Die gleichen Methoden hat Omi schon bei mir angewandt. Außerdem muß sie die jetzt sowieso ändern. Schulhefte werden auch rationiert.«
    Obwohl Omi sich wirklich redliche Mühe gab, mir die Schule madig zu machen, wurde ich eine ganz passable Schülerin. Das zeigte sich immer bei der halbjährlichen Zeugnisverteilung. Zuerst mußten wir in der Aula eine Ansprache des Rektors über uns ergehen lassen, gefolgt vom Absingen vaterländischer Lieder, dann brüllten wir dreimal »Führer, Sieg Heil« und danach durften wir endlich in unsere Klassenzimmer marschieren.
    Am Nachmittag fuhr ich nach Schmargendorf zum Kassieren. Von Omimi bekam ich einen Kuß und einen Bogen Abziehbilder. Opa dagegen zückte Portemonnaie und Brille, bevor er sich ans Rechnen machte.
    »Nun zeig mal her. Na, das sieht ja wieder ganz erfreulich aus. Sechs Einser sogar und vier Zweien. Für die Drei in Musik gibt es natürlich nichts, aber es bleibt immer noch genug übrig.«
    »Genau acht Mark«, sagte ich eifrig, denn ich hatte das zu erwartende Honorar natürlich längst ausgerechnet. Schwierigkeiten bei der Bewertung gab es zum erstenmal, als in der Zeile für ›besondere Bemerkungen‹ der befremdete Satz stand: ›Evelyn tat sich besonders hervor im Sammeln von Altpapier. Opa honorierte diesen Beweis offensichtlicher Vaterlandsliebe vorsichtshalber mit drei deutschen Reichsmark.
    Heute nennt man es Recycling, wenn man leere Flaschen in die dafür vorgesehenen Behälter wirft, auf daß sie einer Wiederverarbeitung zugeführt werden. Damals nannte man so etwas ›Rohstoffverwertung‹, und wir Schulkinder wurden angehalten, diese Rohstoffe zu sammeln. Fräulein Luhde hatte uns die Sache gründlich erklärt. »Die Bevölkerung wird durch Rundfunk und Presse von dieser Sammelaktion verständigt und aufgerufen, Stanniolpapier, Zeitungen und hauptsächlich Spinnstoffe bereitzustellen. Ihr Kinder werdet die Sachen abholen und könnt auf diese Weise auch schon unseren tapferen Soldaten helfen.«
    Das wollten wir ja recht gern tun, nur begriffen wir nicht, was unsere Soldaten mit alten Zeitungen anfangen sollten.
    Am begehrtesten waren ohnehin ›Spinnstoffe‹, aber die bekamen wir bestenfalls in Form von Lumpen. Alte Kleider gab es nicht mehr. Die hatte man entweder in einem verfrühten Anflug
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