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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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I – Eine andere Welt
    Wiltshire, Juni 1901
    Sverres Gelassenheit beruhte hauptsächlich darauf, dass ­Albie immer nur sehr vage von seinem Zuhause in Wiltshire erzählt hatte. Ab und zu hatte er eher beiläufig das »Haus« erwähnt und gelegentlich die »Felder« und die »Schafzucht«, was nach einem etwas größeren norwegischen Bauernhof geklungen hatte, insbesondere wegen der Schafe.
    Im Zug nach Salisbury hätte Albie vielleicht die letzte Möglichkeit nutzen können, das eine oder andere zu klären. Stattdessen waren sie in eine ausgelassene Diskussion darüber geraten, welchen Beitrag ihre Wissenschaft zur Verbesserung des wichtigsten Verkehrsmittel Englands, der Eisenbahn, leisten konnte. Sie waren frischgebackene Diplomingenieure der Universität Dresden und besaßen damit die beste technische Ausbildung der Welt. Für die Menschheit war soeben das Jahrhundert unfassbarer Fortschritte angebrochen, die vielleicht sogar das Ende jener Barbarei, die Krieg hieß, mit sich bringen würden. Immer noch klangen ihnen diese Worte des Rektors am Examenstag in den Ohren. Die Verantwortung dafür trugen vor allem die Ingenieure. Die neue Technik würde das menschliche Dasein von Grund auf verändern. Nichts war unmöglich, warum also nicht sofort damit beginnen, sich ein paar rasche Verbesserungen für den Bahnverkehr auszudenken?
    Sverre war auf Eisenbahnen spezialisiert und Albie auf Maschinenbau, das Thema lag also fast auf der Hand.
    Albie breitete die Arme aus, reckte sich glücklich unbekümmert – sie hatten ein ganzes Erste-Klasse-Abteil für sich –, hob dann in einer für ihn typischen Geste den Zeigefinger und formulierte die Frage:
    »Was stört uns am meisten, während wir hier sitzen? Lass uns damit beginnen. Was sollte man umgehend verbessern? Was fällt einem als Erstes auf?«
    »Der Ruß«, stellte Sverre fest und deutete verdrossen auf seine Manschetten. »Ich habe ein frisch gestärktes weißes Hemd angezogen, als wir heute Morgen im Hotel Coburg aufgestanden sind. Jetzt kann ich es nicht einmal mehr zum Abendessen tragen, fürchte ich. Und dann wären da noch der Lärm und das Gerüttel, möglicherweise auch die geringe Geschwindigkeit.«
    Albie dachte einen Augenblick nach und nickte dann. Das waren die unmittelbaren Probleme, die gelöst werden mussten, daran bestand kein Zweifel.
    Sie begannen mit dem Ruß, der größten Unannehmlichkeit, insbesondere an einem warmen Sommertag wie diesem, an dem man gerne mit geöffnetem Fenster reiste. Die Lokomotiven wurden von mit Kohle befeuerten Dampf maschinen angetrieben, und der Rauch war überaus un­angenehm. Zwei Lösungen boten sich an: entweder die Kohleabgase mithilfe eines Filtersystems zu reinigen, oder – eine drastische Methode – das Antriebssystem aus zutauschen. Die neuen Automobile wurden mit Petroleum­ produkten angetrieben. Auch diese Art von Verbrennungsprozess brachte Ausstöße mit sich, verglichen mit dem Kohlerauch eines Zuges waren sie jedoch nur unbedeutend. Theoretisch ließen sich die mit Kohle befeuerten Dampfmaschinen durch etwas größere Verbrennungsmotoren vom Automobiltyp ersetzen. Was das kostentechnisch bedeuten würde, war eine andere Frage, denn Kohle war in England praktisch gratis.
    Andererseits hatte bereits Rudolf Diesel in seiner Abhandlung »Theorie und Konstruktion eines rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschine und der heute bekannten Verbrennungsmotoren« festgestellt, dass bei einer Dampfmaschine neunzig Prozent der Energie verloren gingen. Das war eine kolossale Vergeudung und damit auch verschwendetes Geld. Rudolf Diesels neuer Motor, zumindest die Experimentalversion, wurde von Erdnussöl angetrieben. Dieses ließ sich zwar nicht ohne Weiteres in ausreichenden Mengen beschaffen, war aber im Unterschied zur Kohle kein endlicher Rohstoff und au­ßerdem sauberer und weniger schädlich. Also ein Dieselmotor?
    Oder Elektrizität?, überlegte Sverre. Sauber und leise. Die Verunreinigung durch Kohle beschränkte sich auf die Kraftwerke, in denen man die elektrische Energie herstellte. Dort ließe sich auch der Kohlerauch auf vernünftige Art filtern.
    Unverzüglich wandten sie sich dem Thema Elektromotoren zu. Bislang existierten keine, die genügend Kraft entwickelten, um einen ganzen Zug anzutreiben, aber das lag nicht unbedingt an praktischen Problemen. Vielleicht hatte bisher einfach niemand den Bedarf gesehen. Die Technik existierte schließlich, sie musste einfach nur weiterentwickelt
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