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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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zurechtweisen und mit Sanktionen drohen würde. Mit der Streichung seines Unterhalts zum Beispiel. Nichts davon geschah.
    Sein Vater blickte gelassen auf und nickte, als hätten sie sich erst vor Kurzem gesehen, bedachte die Kleidung seines Sohnes kommentarlos mit einem raschen Blick und ließ nur ein feines Lächeln ahnen.
    »Gut, dass du kommst«, sagte er. »Ich schlage einen Nachmittagsspaziergang vor, da besprechen wir alles. Ich erledige dies hier nur noch rasch, du kannst dich inzwischen umziehen.«
    Daraufhin vertiefte sich der Vater erneut in seine Pa­piere. Albie blieb also nichts anderes übrig, als auf sein Zimmer zu gehen, braune Halbschuhe, Knickerbocker und Tweedjacke anzuziehen und eine Mütze aufzusetzen. Binnen zehn Minuten verwandelte er sich von einem Dandy in einen Country Gentleman. Sein lila Samtjackett, den langen weißen Mantel und seinen Hut hängte er zuhinterst in den Schrank.
    Wenig später gingen sie im Park spazieren. Sein Vater wirkte vollkommen ruhig, zögerte jedoch, etwas zu sagen. Es war ein grauer Tag, und es nieselte.
    Nach einer Weile begann sein Vater schließlich zu sprechen. Die Lage spitze sich zu und erinnere immer mehr an die französische Verfolgung der Hugenotten im 17. Jahrhundert. Die moralische Entrüstung in London nehme bestialische Ausmaße an. Zwar sei Lord Alfred Douglas, der geliebte Bosie Oscar Wildes, dem Gefängnis und der Schande entgangen, ebenso wie die werten Cousins Henry James Fitzroy und Lord Arthur Somerset einige Jahre zuvor. Wirklich eine unerfreuliche Geschichte, dieser sogenannte Cleveland-Street-Skandal. Damals hätten sich die Mühlen der Gerechtigkeit begnügt, einige Bordellbesitzer und einfachere Kunden zu zermahlen. Dass es dem Sohn des Prince of Wales gelungen sei, aus dem Netz zu schlüpfen, wundere niemanden. Und wie gesagt, auch die werten Cousins seien mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Jetzt gebe es jedoch allen Grund zu der Annahme, dass die – wenn man so wolle – glücklichen Zeiten unwiderruflich vorüber seien. Jetzt sei allen Ernstes eine Epoche hemmungsloser Verfolgungen zu befürchten. Daher sei ein mehrjähriges Studium im Ausland angezeigt.
    Albie hatte dem nichts hinzuzufügen und keinerlei Einwände. Sein Vater hatte die Lage nüchtern und präzise dargelegt.
    Schweigend schritten sie eine Weile nebeneinander einher, zwei spazierende Herren, die sich über die für Gentlemen üblichen Themen wie Wetter, Kricket und Fasane unterhielten. Das Wichtigste schien gesagt. Die Lage war erörtert worden, und Albie begann bereits, sich sein Leben in Paris auszumalen. Daher überraschte ihn die nächste Äußerung seines Vaters sehr.
    »Ich schlage vor, dass du dich in deinen weiteren Stu­dien auf Maschinenbau konzentrierst«, sagte er in einem Ton, als plauderten sie über das Wetter.
    Als Albie nach einigen Sekunden, während derer er noch glaubte, es handele sich um einen typisch englischen, ironischen Scherz, einsah, dass es seinem Vater ernst war, war es, als habe ihn der Schlag getroffen.
    Maschinenbau? Etwas so Simples und Banales, etwas für Kutscher, Schmiede und die niederen Beamten in ihren Büros in London? So geisttötend, so erbärmlich!
    Er konnte sich anschließend nicht mehr erinnern, wie er seine Einwände formuliert hatte, wahrscheinlich hatten ihm die Worte im Hals festgesteckt. Sein Vater lächelte nur. Er hatte sicher lange darüber nachgedacht, wie er seinem Sohn diesen höchst prosaischen Vorschlag unterbreiten sollte, und war auf Einwände gut vorbereitet.
    Das 20. Jahrhundert, begann er, würde das große Jahrhundert der Maschinen und der Technik werden. Maschinen würden nicht nur die Landwirtschaft grundlegend verändern, sondern auch das Verkehrswesen und die Industrie. Wer das frühzeitig erkenne, könne nicht nur sich selbst über alle Maßen bereichern, sondern auch der Menschheit zum Guten dienen.
    Und was bedeutete dies nun für Albie? Wie künstlerisch er sich auch kleiden und wie unkonventionell und provozierend er sich ausdrücken möge, wie beharrlich er auch verkünde, die Literatur sei die einzig sinnvolle Beschäf­tigung, so bestehe doch kein Zweifel daran, dass er allem voran mathematisch begabt sei. Dessen brauche er sich keinesfalls zu schämen. Alle Zeugnisse aus Eton seien in diesem Punkt eindeutig gewesen.
    Er dürfe nicht vergessen, dass ihm diese Begabung in Eton einiges eingebracht habe. Hatte er etwa nicht in seinen letzten beiden Jahren dort unzählige mathematische
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