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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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verwandelte sich dabei in eine Hölle.
    Die Bergenbahn war zweifelsohne Norwegens größtes technisches Projekt, ein heroisches Projekt und eine gelungene Metapher des 20. Jahrhunderts als eines Jahrhunderts der Technik. Nun denn. Die Arbeit an sich war jedoch technisch nicht sonderlich anspruchsvoll und zeichnete sich vor allem durch große körperliche Anforderungen aus. Es handelte sich mehr um eine Kraftprobe als um eine technische Herausforderung. Vielleicht war das ungerecht oder auch nur die leichtfertige Ausrede eines Menschen mit einem schlechten Gewissen.
    Dort oben rackerten sich jetzt Lauritz und Oscar im Kampf gegen die Elemente ab, während sich der Verräter, ihr jüngster Bruder, an den schönen Künsten in Paris erfreute – Albie und er hatten dort auf der Reise nach Antwerpen eine zweitägige Pause eingelegt – und an der üppig grünen südenglischen Landschaft mit den sanften Hügeln und der pastoralen Idylle.
    Vielleicht war es ja sein Verhältnis zur Kunst, das die Voraussetzungen für die inzwischen wahrscheinlich unüberwindbare Kluft zwischen den Brüdern geschaffen hatte. Im Haus von Frau Schultze hatten sie gut, jedoch sehr bescheiden und diszipliniert gelebt. Die Universität schickte jedes Quartal einen Bericht an Die gute Absicht in Bergen, in dem die Studienresultate der Brüder bis auf eine Stelle hinter dem Komma aufgelistet wurden. Anschließend wurde pünktlich Geld an die Filiale der Deutschen Bank in der Altstadt überwiesen. Sie hatten wahrlich keine Not gelitten. Aber das Geld aus Bergen erlaubte ihnen keine Ausschweifungen. Ordentliche, saubere Kleidung, drei Mahlzeiten bei ihrer Vermieterin, das war alles.
    Mit der Zeit brachte Lauritz Geldprämien von seinen Radrennen nach Hause, die er penibel teilte: eine Hälfte für seine Brüder und sich, die andere für Die gute Absicht in Bergen. Es war Geld, das ihren Wohltätern nicht fehlte und das sie nie eingefordert hatten.
    Es begann damit, dass Frau Schultze ihn bat, den Türrahmen des großen Speisezimmers zu dekorieren, in dem sonntags gegessen wurde, wenn mehr als vier Gäste teilnahmen. Natürlich wünschte sie sich »Wikingerkunst«, und dagegen war nichts einzuwenden. Dieser Auftrag kostete Sverre vier Arbeitstage und ein schlechtes Ergebnis bei einer unwichtigen Prüfung, das sich schnell wieder aufholen ließ.
    Die Gäste, die Frau Schultze an Sonntagen empfing, ­begeisterten sich wie scheinbar ganz Deutschland für die Wikinger und altnordische Ornamentik. Damit nahm alles seinen Anfang. Die ersten Gäste, die etwas in Auftrag gaben, bezahlten nicht viel. Als Sverre das zu bunt wurde, nahm er, auf seine Studien verweisend, nur noch wider­strebend Aufträge an. Prompt stieg die Nachfrage, aber auch für einfachste Arbeiten stieg der Preis dramatisch an, wobei schwarze Reliefs auf Goldgrund am teuersten waren.
    Er ließ seine Brüder an dem Gewinn teilhaben, nicht aber die Wohltätigkeitsloge, ein Umstand, den Lauritz seltsamerweise nie kommentierte.
    Dank dieser zusätzlichen kunsthandwerklichen Arbeit war er ab seinem dritten Jahr in Dresden niemals knapp bei Kasse, obwohl er immer mehr Geld für modische Kleidung für sich und seine Brüder ausgab, in denen sie alle Kommilitonen überglänzten.
    Diese leidenschaftliche Begeisterung für Kleider führte ihn vermutlich mehr als alles andere mit Albie zusammen. Es gab eine große Gruppe englischer Studenten in Dresden, es hieß sogar, die englische Landsmannschaft sei größer als die der deutschen Provinzen, möglicherweise mit Ausnahme von Sachsen. Deutschland und die deutsche Kultur waren während der letzten Jahre in England in Mode gekommen, was den englischen Studenten deutlich anzumerken war, deren Bewunderung alles Deutschen gelegentlich geradezu übertrieben wirkte. Trotzdem kleideten sie sich eher englisch als deutsch, wobei die Unterschiede gering waren.
    Besuchte man ein Konzert oder die Semperoper, warf man sich natürlich in Schale, das verstand sich von selbst und war Teil des Vergnügens. Aber ein Frack war ein Frack und ließ sich nicht groß variieren. Ein Besuch der Soireen des Kunst- und Opernvereins stellte eine größere Herausforderung dar, denn hier galt es, in einfacher Eleganz aufzutreten, was viel schwerer war. Die Engländer wählten zu diesen Anlässen normalerweise einen Smoking, ein Kleidungsstück, das Sverre eher fantasielos fand. Es handelte sich dabei um einen einfachen Frack mit schwarzer statt weißer Fliege, in dem alle gleich
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