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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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vor.
    Sie konnte sich an Oscar noch schwach aus der Dresdner Zeit erinnern. Aber damals war er noch ein Junge gewesen. Jetzt stand, den Orden nach zu urteilen, ein Held vor ihr, der noch dazu wie ein Held aussah. Er hatte breite Schultern, war größer als Lauritz und außerdem bedeutend schlanker. Sein Gesicht war zerfurcht und von Narben übersät, und die Augen hatten einen fast trau­rigen Ausdruck. Ein Mann, der sehr viel durchgemacht hatte. Ingeborg warf einen Blick zu Christa hinüber und stellte rasch fest, dass sie denselben Eindruck gewonnen hatte oder die Situation genauso analysierte, um Christas Jargon zu benutzen, wie sie. Sie wirkte geradezu überwältigt.
    »Und«, meinte Oscar und breitete die Arme aus. »Alles, was ich noch besitze, sind die Kleider, die ich trage. Die Engländer haben mir in Afrika alles weggenommen. Ich kann heute Abend also leider nicht die Zeche zahlen.«
    »Du hast keinen Grund, dir Sorgen zu machen«, meinte Lauritz. »Du hast eine bedeutende Goldreserve im Tresorgewölbe der Norwegischen Bank in Bergen liegen. Du bist Teilhaber dreier Baufirmen, unter anderem von Heckler & Dornier hier in Deutschland. Es wird neue Brücken geben, mach dir keine Gedanken, die Welt wird wieder aufgebaut werden, Ingenieure werden immer gebraucht. Was Dornier betrifft, so erwägen wir, mit dem Bau von Flugzeugen zu beginnen.«
    »Ausgezeichnete Idee«, erwiderte Oscar sichtlich erleichtert.
    »Ich bin mir sicher, dass den Flugzeugen eine strahlende Zukunft beschieden ist.«
    Damit endete ihre Unterhaltung, da sie es beide etwas peinlich fanden, in Damengesellschaft von Geschäften zu sprechen. Das Notwendigste war ohnehin gesagt, und Oscars Erleichterung war deutlich spürbar. Innerhalb einer Sekunde war aus einem möglicherweise mittellosen ein erneut sehr vermögender Mann geworden.
    In diesem Augenblick hätte man auf alltäglichere Dinge zu sprechen kommen können wie das kühle Frühjahr oder welches Restaurant sie besuchen wollten. Stattdessen nahm Lauritz Oscar zur Seite und begann sich flüsternd mit ihm zu unterhalten. Die anderen sahen fragend zu ihnen hin­über. Oscar nickte nachdenklich und betrachtete dann die Kinder. Daraufhin trat er unvermittelt auf Harald zu und beugte sich vor, sodass sein großes, schwarzes Halskreuz mit Silberkante vor den Augen des Jungen baumelte.
    »Das Großkreuz des Eisernen Kreuzes!«, rief Harald beeindruckt und deutete auf den Orden. »Und das Eiserne Kreuz Erster Klasse!«, fuhr er ebenso aufgeregt fort.
    Meine Güte!, dachte Ingeborg, wo lernen die kleinen Jungen das alles nur?
    »Ganz richtig, mein lieber Neffe«, erwiderte Oscar auf Deutsch.
    Bislang hatten sie nur Deutsch gesprochen, was angesichts von Christas Anwesenheit eine Selbstverständlichkeit war. Aber jetzt wechselte Oscar plötzlich ins Norwegische, als er Harald an seinen dünnen Schultern fasste und fragte:
    »Aber so ein kleiner kluger Neffe kann mit seinem Onkel Oscar doch wohl auch Norwegisch sprechen?«
    »Natürlich können wir Norwegisch sprechen, Onkel Oscar. Ich bin nicht nur Deutscher, ich bin ebenso sehr Norweger!«, antwortete er in dem ausgeprägt westnorwegischen Dialekt, in dem er auch angesprochen worden war.
    Der Sprache, die ihm seit zwei Jahren nicht mehr über die Lippen gekommen war.
    Fröhlich plaudernd mit den Brüdern Lauritzen an der Spitze, setzte die Gesellschaft ihren Weg Unter den Linden fort. Lauritz erzählte seinem Bruder von den traumatischen Erlebnissen des kleinen Harald in Bergen, als dieser als »deutscher Balg« schwer misshandelt worden war und sich daraufhin geweigert hatte, Norwegisch zu sprechen. Aber jetzt hatte also ausgerechnet ein Eisernes Kreuz dieses Problem gelöst. Anschließend entwarfen die Brüder großartige Pläne für die Erfüllung ihres einstigen Kindheitstraums, die Ingenieursfirma Lauritzen & Lauritzen. Sie schlenderten gemächlich einher, früher oder später würden sie ein Restaurant finden, in dem es einen freien Tisch für sie gab und in dem sie mit ausländischer Währung zahlen konnten.
    Die höllischen Zeiten waren vorüber. Eine neue Welt musste aufgebaut werden, und sie konnten sich bereits vorstellen, wie Deutschland sich, dem Vogel Phönix gleich, aus der Asche erhob und wie sie selbst zu dieser großartigen Entwicklung beitrugen. Es würde zwar kein Zuckerschlecken werden, jedenfalls nicht zu Anfang, aber es würde gehen. Schließlich waren sie in Deutschland.
    Sie sprachen Norwegisch, eine Sprache, die Oscar
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