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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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seit achtzehn Jahren nicht mehr gesprochen hatte und die ihm, da ihm manchmal die Worte fehlten, inzwischen gewisse Schwierigkeiten bereitete. Nur wenige Schritte hinter den Brüdern gingen Ingeborg, Christa und die Kinder und unterhielten sich Christas wegen auf Deutsch.
    Plötzlich blieb Oscar wie angewurzelt stehen und packte Lauritz am Arm. Nur wenige Meter vor ihnen stand ein gut gekleideter Herr mit einem zerfurchten Gesicht, der sie soeben rasch überholt und sich dann umgedreht hatte. Nun starrte er sie mit aufgerissenen Augen an. Als die Frauen und Kinder Lauritz und Oscar einholten, blieben auch sie stehen und verstummten. Es war ein gespenstischer Augenblick.
    »Seid ihr es wirklich?«, fragte der starrende Mann und zwar nicht nur auf Norwegisch, sondern noch dazu in einem ausgeprägten westnorwegischen Dialekt.
    »Ja«, erwiderte Oscar. »Ich bin dein Bruder und dieser rundliche Bursche neben mir auch.«
    Im nächsten Augenblick tat er einen Satz nach vorn und umarmte Sverre. Einige Sekunden lang verharrten sie schweigend, während Ingeborg Christa flüsternd die Si­tuation erläuterte.
    Sverre befreite sich als Erster aus der Umarmung, drehte sich um und trat zögernd auf Lauritz zu. Die Luft zwischen ihnen war aufgeladen, und keiner der beiden wusste, was er sagen sollte. Lauritz fing sich als Erster.
    »Was um alles in der Welt hat dich nach Berlin verschlagen … lieber Bruder?«, fragte er.
    Er hatte vor den letzten beiden Worten gezögert, sie aber dann doch ausgesprochen.
    »Ich habe England verlassen und bin nach Berlin gekommen, weil ich die hiesige Sprache beherrsche und davon ausging, dass ich dir hier nicht begegnen würde … lieber Bruder«, antwortete Sverre aufrichtig und ohne jede Ironie.
    »Ich habe mir die Parade der afrikanischen Schutztruppe angesehen«, fuhr er fort. »Dann habe ich euch am Brandenburger Tor entdeckt und bin euch gefolgt. Erst als ich euch Norwegisch sprechen hörte, war ich mir meiner Sache sicher.«
    Lauritz schüttelte den Kopf, wobei unklar war, was er dachte. Die anderen warteten nervös ab, Ingeborg sprach flüsternd mit Christa.
    »Eines möchte ich als Allererstes sagen«, ergriff Lauritz endlich das Wort. »Dein Porträt unserer Mutter ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Es hängt in Bergen in unserem Haus über dem offenen Kamin. Ich betrachte es jeden Abend eine Weile, und seltsamerweise denke ich dann mehr an dich als an Mutter. Und jetzt hat Gott un­s drei Brüder zusammengeführt. Oscar bin ich erst vor einer halben Stunde begegnet. Und jetzt dir.«
    Damit war mit altgewohnter, auf der Osterøya üblicher Wortkargheit alles gesagt.
    Sie waren versöhnt.
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