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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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Großvater hingegen einen jüngeren Bruder gehabt. Die beiden hatten sich zerstritten und jeglichen Umgang abgebrochen. Lord Horace war also der Enkel des jüngeren Bruders ihres Großvaters.
    Margie befürchtete von Neuem, dass sich Sverre das Leben nehmen könnte. Vier oder fünf Tage lang hatte er im Charleston Farmhouse apathisch das Bett gehütet, ­ohne etwas zu essen oder zu trinken. Dann war Roger Fry angereist, um ihn wieder auf die Beine zu bringen.
    Alle hatten sich natürlich um Sverre Sorgen gemacht, aber Roger war es als Einzigem gelungen, ein Argument vorzubringen, das Sverre tatsächlich dazu veranlasst hatte, sich am Riemen zu reißen. Er musste die Kunst retten. Nicht nur seine eigene, sondern auch die französische, die bald zusammen mit Picasso und van Gogh in allen großen Kunstmuseen der Welt hängen würde.
    Und jetzt hatten die Barbaren alles verbrannt. Sverres zwei amerikanische Ausstellungen waren vernichtet. Margie wagte es kaum, darüber nachzudenken, wie sie sich selbst in derselben Situation gefühlt und was sie getan hätte. Sverre wirkte vollkommen apathisch. Bleich und reglos starrte er aus dem Fenster. Irgendwie musste sie ihn wieder aufrichten.
    »Sverri, du musst mir versprechen, nichts Dummes zu tun«, sagte sie und kam sich sofort plump und unbeholfen vor.
    »Seltsamerweise gibt es zwei Dinge, die mich freuen«, sagte er überraschend, nachdem er sich ihr zugewandt hatte.
    »Zum einen natürlich«, fuhr er fort, »dass Seine Gnaden, Horace, unser 14. Earl, nicht genug Verstand besaß, um jene Kunstwerke zu behalten, die ihn schwerreich hätten machen können. Zum anderen die Hoffnung, dass es seinen Handlangern noch nicht gelungen ist, in das Atelier in Bloomsbury vorzudringen.«
    »Welche Gemälde hast du dort noch stehen?«, fragte Margie.
    »Zwei Schätze«, antwortete Sverre mit einem schwachen Lächeln. »Das Bild Albies, wie er die Sonne auf der Hardangervidda anbetet. So möchte ich mich immer an ihn erinnern, so wird er immer bei mir sein. Der andere Schatz sind zwei Van-Gogh-Gemälde, die ich dort vergessen hatte. Erinnerst du dich, wie ich dir die Technik van Goghs erläuterte? Seit dieser Zeit stehen diese Bilder in einer Abstellkammer im Atelier.«
    »Ja, ich erinnere mich noch sehr gut. Zwei südfranzö­sische Landschaften. Wir sollten uns beeilen, damit es dir noch gelingt, deine eigenen Gemälde zu stehlen.«
    »Das blaue Bild von Manningham«, fuhr Sverre nach einer Weile fort, »sollst du behalten. Und das blaue Bild Brightons in einer Spätherbstnacht soll bei Vanessa und Duncan im Charleston Farmhouse hängen.«
    »Hast du vor, dich umzubringen?«
    »Nein, ich wüsste nicht, warum. Wirklich nicht.«
    »Du willst England verlassen?«
    Sverre nickte.
    »Wohin gehst du?«
    »Für immer weg aus England. Das ist die Hauptsache. Vermutlich fahre ich nach Hause.«
    Sie verstummten. Sie saßen beengt in einem Wagen der zweiten Klasse. In der ersten Klasse war kein Platz mehr gewesen, und sie verfügten nicht mehr über den privaten Waggon Manninghams.
    Als sie sich der Paddington Station näherten, zog Sverre das verkohlte Fragment der Cézanne-Signatur aus der Tasche und reichte es Margie.
    »Hier. Nimm das«, sagte er. »Lass es einrahmen oder verwende es für eine Collage, betrachte es als mein letztes, definitives Bild Englands.«

XIII – Ein neuer Anfang
    Berlin, April 1919
    Es entstand eine Pause. Niemandem fiel etwas Erwähnenswertes ein. Sie standen unter dem Brandenburger Tor und lächelten einander verlegen an.
    Da näherte sich ein Mann in der Uniform eines Hauptmanns, der vermutlich an der Parade teilgenommen hatte.
    Er ging mit energischen Schritten auf Lauritz zu, der wie versteinert dastand und ihn anstarrte. Ingeborg konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
    Die beiden Männer fielen einander um den Hals, umarmten sich innig und klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Keiner sprach ein Wort. Als sie voneinander ­abließen, bemerkten die anderen, dass sie beide weinten und sich die Tränen mit dem Handrücken abwischen mussten.
    »Das hier«, sagte Lauritz mit schwacher Stimme, »ist mein Bruder Oscar, der gerade aus Afrika zurückgekehrt ist. Darf ich vorstellen, Christa Freiherrin von …«
    »Ach was!«, sagte Christa und reichte ihm ihre Hand zum Kuss. »Wir sind uns schließlich in unserer grünen Jugend schon einmal begegnet.«
    Ingeborg umarmte Oscar und küsste ihn auf beide Wangen.
    Dann stellte sie ihm ein Kind nach dem anderen
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