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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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zu, was wohl Lytton aufgefallen war, denn er erhob sich aus seinem tiefen, bunt bemalten Korbstuhl und gesellte sich zu Sverre, indem er neben dessen Stuhl in die Hocke ging.
    »Ich würde dich gerne um einen Dienst bitten, Sverri«, flüsterte er.
    »Kein Problem«, erwiderte dieser erstaunt. »Worum geht’s?«
    »Um ein Gemälde, das Carrington gemalt hat und das wir dabeihaben.«
    »Aha«, antwortete Sverre, dem nichts Gutes schwante. »Und was habt ihr damit vor?«
    Lytton war verlegen und verunsichert, was nicht zu seinem üblichen überheblich-ironischen Auftreten passte.
    Carrington hatte ein Porträt Lyttons gemalt, das ihm selbst sehr gut gefiel. Aber sein Urteil wurde möglicherweise von einer persönlichen Voreingenommenheit getrübt.
    Wenn Sverre also – Roger Fry hatte Lytton anvertraut, dass sich Sverre künstlerisch auf einem ganz anderen Niveau befand als die anderen malenden Freunde –, wenn Sverre also ein privates Urteil abgeben könnte, ehe man das Gemälde eventuell den anderen Freunden zeigte?
    Carrington führte Sverre in ihr Zimmer im Obergeschoss, das sie mit Lytton teilte. Sverre war unbehaglich zumute, er rechnete mit dem Schlimmsten, ähnlich den Dingen, wie sie die anderen Freunde eben zuwege brachten. Was sollte er dann sagen? Lytton hegte sicher hohe Erwartungen.
    Immerhin hatte er auf dem Weg ins Obergeschoss ein geeignetes Gesprächsthema für die schüchterne Carrington. Nein, mit dem Offizier war sie nicht verwandt, der Name war nicht ganz selten, normannischen Ursprungs und stammte aus einem Dorf in der Normandie, das Carendon hieß. Wie das Leben so spielte.
    Das Porträt Lyttons war zu Sverres großer Erleichterung erstklassig ausgeführt und zeigte ihn als typischen Intellektuellen, aber ohne seine Arroganz, Bösartigkeit und Überheblichkeit. Er lag zurückgelehnt auf einer Couch und las konzentriert und ohne spöttische Miene ein Buch. Seine sensiblen Hände mit den langen, schmalen Fingern hielten das Buch behutsam, fast hätte man sagen können: liebevoll. Der rote Bart harmonierte mit dem roten Einband des Buches und der roten Decke, und das Bild war nicht nur so ähnlich, dass man den Porträtierten sofort erkannte, es war auch zärtlich und zeigte einen anderen und viel sympathischeren Lytton.
    »All right, Carrington«, sagte Sverre erleichtert und froh, als er sich an die nervöse Künstlerin wandte, die seines Urteils harrte. »Einfach ausgedrückt ist dieses Porträt abgesehen vom Selbstbildnis van Goghs im Erdgeschoss das absolut beste Porträt im ganzen Haus. Das verrate ich aber nur Lytton und dir, und du weißt sehr gut, warum. Da ist dir wirklich etwas gelungen. Ich gratuliere.«
    Carrington warf sich ihm spontan um den Hals und küsste ihn. Erst auf beide Wangen, dann fast erotisch auf den Mund. Selbst im Bloomsbury-Kreis war das unter ­neuen Bekannten ein höchst ungewöhnliches Verhalten.
    Als sie sich wieder zu den Weintrinkern in der Laube gesellten, die unter Führung Virginias immer noch über literarische Formen sprachen, stellte Sverre mit Genug­tuung fest, dass Lytton nervös wirkte. Er erhob sich und eilte ihnen entgegen.
    »Komm«, sagte er und hakte sich bei Sverre ein. »Wir gehen zum Seerosenteich. Da hört uns niemand.«
    Sverre bereitete Lyttons Nervosität rasch ein Ende, indem er ihm ungefähr das Gleiche mitteilte wie Carrington. Außerdem fügte er hinzu, dass Roger Fry sicherlich seiner Meinung sei, falls sie eine zweite Meinung einholen wollten. Es war ein ausgezeichnetes Porträt, das sie der übrigen Gesellschaft bedenkenlos vorführen könnten.
    Aber ihm sei noch etwas aufgefallen, fuhr Sverre nachdenklich fort. Das Bild zeigte einen harmonischeren und freundlicheren Lytton als jenen, den Sverre vor über zehn Jahren kennengelernt hatte. Was war mit ihm geschehen, welche geheime Seite hatte Carrington in ihm entdeckt?
    »Das ist eine intelligente und höchst berechtigte Frage«, gab Lytton zu. »Nächstes Jahr erscheint mein erstes Buch, auf das ich wirklich stolz sein kann. Den Vertrag habe ich bereits unterschrieben. Alles ist fertig. Ich glaube, dass es sich gut verkaufen wird. Jetzt bin ich also endlich allen Ernstes Schriftsteller und rede nicht nur meisterhaft über die Schriftstellerei. Das ist eine große Erleichterung. Aber wie du selbst vorhin sagtest: Das erzähle ich nur dir. Du musst ein geübtes Auge besitzen, da du einem Porträt so viel entnehmen konntest.«
    »Ganz und gar nicht«, erwiderte Sverre. »Carrington
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