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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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Keule an die Gefahr dachte, die von der kontinentalen Dekadenz ausging, war ebenso unwahrscheinlich. In Deutschland existierte keine andere Kultur als die der Keule. Also war das Bild des Gorillas ebenso banal konventionell wie die aufgespießten Säuglinge. Fette deutsche menschenfressende Schweine waren da schon viel sug­gestiver.
    Virginia ging siegreich aus dieser Diskussion hervor. Sverre legte die Karikaturen beiseite, und Vanessa holte noch ein paar Flaschen Burgunder von der Domaine de la Romanée-Conti, den James ganz besonders für festliche Anlässe empfohlen hatte. Rasch war er allerseits zum Lieblingswein erkoren worden, und der Vorrat näherte sich der letzten Flasche.
    Clive überlegte, wie wohl die deutschen Entsprechungen aussahen, da sich doch sicher auch der Gegner in seiner Kriegführung der Propagandakunst bediente. Diese Art der Überzeugungsarbeit mit künstlerischen Mitteln richtete sich jedoch nur an das einheimische Publikum. Kein Deutscher bekam je die englischen Schweine- und Gorilla-Karikaturen zu Gesicht. Ebenso wenig bestand in England die Möglichkeit, die entsprechenden deutschen Karikaturen in Augenschein zu nehmen. Anhand welcher Tiere wurden die Engländer dargestellt? Was war schlimmer als Schweine und Gorillas? Ratten vielleicht?
    Die Frage war an Sverre gerichtet, da er sich im Freundeskreis am besten mit der deutschen Kultur auskannte. Er antwortete, dass er das genauso wenig wisse wie alle anderen Anwesenden. Er bezweifele jedoch, dass man in Deutschland Menschen als Ratten abbilde oder andere ähnlich unmenschliche Karikaturen publiziere. Aber wahrscheinlich war das reines Wunschdenken. Wenn die Kunst schon in England aufgrund des Krieges derart verroht war, so ließ sich eine ähnliche Entwicklung in Deutschland befürchten. Der Krieg korrumpierte und verdarb einfach alle Menschen.
    Oder auch nicht. Denn worauf hätte er sich wohl als deutscher Propagandazeichner konzentriert? Anfänglich auf Offensichtliches. In Deutschland gab der Kaiser ein dankbares Opfer ab, in England war es der fette König. Während die Engländer die Deutschen als Gorillas und Schweine darstellten, konnte man von den Deutschen erwarten, dass sie sich etwas Intelligenteres einfallen ließen, als die Tiere zu verunglimpfen, mit denen sich die Engländer selbst identifizierten, wie den englischen Löwen und die englische Bulldogge.
    Sverre strahlte, zeigte auf seine Schläfe, um einen Geistesblitz anzudeuten, und verschwand Richtung Haus.
    Nach über einer Stunde kehrte er zurück. Er hatte rasche Skizzen von gebrechlichen, zahnlosen Löwen mit eingeklemmten Schwänzen, von ausgezehrten Bulldoggen, die Richtung Front kläfften und von deutschen Stiefeln beiseitegetreten wurden, von einem fetten König mit Glubschaugen und Bierfassrumpf und denselben König noch einmal, der sich im Spiegel betrachtete und darin einen brüllenden Löwen sah, angefertigt.
    Sie wurden mit zerstreutem Gelächter belohnt, aber die Unterhaltung war in Sverres Abwesenheit fortgesetzt worden und hatte das Thema Politik weit hinter sich gelassen.
    Lytton befand sich mittlerweile in Gesellschaft einer jungen Frau namens Dora Carrington, die aber darauf bestand, einfach nur mit Carrington angeredet zu werden. Sie hatte an der Diskussion über die Karikaturen nicht teilgenommen und fast demonstrativ mit den Jungen von Vanessa und Clive Fußball gespielt, die unbeschwert nackt im Garten herumtollten.
    Jetzt nahm sie scheu neben Lytton Platz. Sie schienen eine sehr seltsame Beziehung zu unterhalten. Lytton war bislang nie von seinem festen Kurs abgewichen, was Männer betraf, außer einmal in seiner Jugend, als er in einem Anfall von geistiger Verwirrung um die Hand Virginias angehalten und einen Korb bekommen hatte. Carrington sah zwar aus wie ein junger Mann, sie war ungeschminkt und trug eine Jungenfrisur, einen Pagenkopf, sowie Arbeitshosen, aber sie war zweifellos eine Frau.
    Sie weckte Sverres Neugier, nicht zuletzt ihres Namens wegen war es nicht ganz ausgeschlossen, dass der einbei­nige Hauptmann, den er auf Manningham porträtiert hatte, mit ihr verwandt war. Da sie sich schüchtern immer an Lyttons Seite hielt, war es nicht einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen.
    Ebenso plötzlich wie unerwartet löste sich dieses Pro­blem mitten in einer langen Diskussion über Form, in der Virginia den Gedanken entwickelte, dass sich Text mit Farbe und Form zu einem neuen Romantyp vereinigen lasse. Sverre hörte nur mit halbem Ohr
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