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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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jungen Frau zusammen, obwohl er sich sexuell ausschließlich für Männer interessierte. Es war klug zu heiraten, bevor die Verfolgungen begannen, sobald der Frieden eintrat. Maynard fand ein solches Arrangement durchaus sinnvoll, zumindest sollten die Freunde die Sache diskutieren. Unter den Frauen des Bloomsbury-Kreises waren sicherlich einige, die sich dazu bereit erklären würden.
    Sverre verspürte nicht das geringste Verlangen, die Diskussion fortzuführen, denn Maynards wahrscheinlich fürchterlich korrekte Deutung von Albies Brief hatte ihn vollkommen niedergeschmettert.
    Albie glaubte weder an einen Sieg in Afrika noch an sein eigenes Überleben. Das erfüllte Sverre mit unaussprech­licher Trauer.
    Maynard versuchte ihn damit zu trösten, dass Albie vermutlich nicht wusste, dass er nur noch eine kurze Zeit ausharren musste, denn dann sei auch in Afrika alles ausgestanden. Wenn Deutschland in ein oder zwei Monaten kapitulierte, war es auch mit den Kämpfen in anderen Teilen der Welt vorbei. In Versailles hatte man bereits die deutschen Kolonien unter den Siegermächten aufgeteilt. England erhielt Deutsch-Ostafrika und indirekt durch Südafrika auch Deutsch-Südwestafrika. Belgien fiel der Westteil Deutsch-Ostafrikas, die Gebiete, die Burundi und Ruanda genannt wurden, zu. Frankreich belegte Kamerun und Togo mit Beschlag.
    Albie und Sverre konnten also nur auf einen möglichst raschen Sieg in Europa hoffen. Denn auch für sie ging es jetzt in diesem Krieg um Leben und Tod.
    *
    Sie begannen mit einem kleinen Wettbewerb, welche der politischen Karikaturen, die Sverre aus Tageszeitungen ausgeschnitten hatte, am abscheulichsten war.
    Im Halbfinale schieden die Abbildungen deutscher Soldaten, die mit dem Bajonett Kinder aufspießten, aus, das seit 1914 mit Abstand häufigste Motiv und daher banal und ohne Überzeugungskraft, wie Lytton meinte, worin ihm die meisten zustimmten.
    Ins Finale kamen zwei Karikaturen, ein Motiv mit Schweinen und eines mit einem Gorilla, die für die Propagandakunst ebenso repräsentativ waren wie die Bajonettbilder, diese jedoch noch an Entsetzlichkeit übertrafen.
    Das Schweinebild gewann recht schnell die meisten Stimmen. Neun fette Schweine mit Pickelhaube, zwei mit Monokel und eins mit Eisernem Kreuz an seinem Schwänzlein machten sich über eine weiß gekleidete Jung frau her, die tot oder sterbend im Schweinekoben lag. Eines der Schweine leckte bereits ihr Blut auf, das über den Boden lief. Drei Schweinen stand die Gier ins Gesicht geschrieben.
    Vanessa, Clive, Lytton und Maynard waren sich sofort einig, dass dieser Karikatur die Goldmedaille der Ausstellung verliehen werden müsse. Die Deutschen waren nicht nur in metaphorischer Hinsicht Schweine – die Bildunterschrift lautete »Den Schweinen vorgeworfen« –, sondern auch Halbmenschen und somit Kannibalen. Das Bild zeigte den Moment, die Sekunden, ehe die geifernden Schweine/Deutschen die weiße Jungfrau in Stücke rissen und verschlangen. Eine unmenschlichere Darstellung des Feindes war kaum vorstellbar. Deswegen musste dieser Karikatur die Goldmedaille für das abscheulichste Bild zufallen.
    Sverre und Roger hingegen favorisierten die andere Karikatur in der Endrunde. Das Motiv war allerdings nicht außergewöhnlich, sondern recht konventionell. Ein schwarzer Gorilla mit deutschem Helm und blondem Bart trug über der linken Schulter eine wehrlose Frau mit entblößter Brust, die wohl Marianne, das vergewaltigte Frankreich, repräsentieren sollte. In der Rechten trug der deutsche Gorilla seine einzige Waffe, eine blutige Keule, auf der (auf Deutsch) KULTUR stand.
    Die gefährlichste Waffe, die jetzt gegen die Zivilisation gerichtet wurde, war also die deutsche Kultur: Goethe, Schiller, Heine, Beethoven, Bach und die deutschen Philosophen stellten eine tödliche Bedrohung der Menschheit dar.
    Roger Fry meinte, diese Denkart mache den Kern der kulturverachtenden Propaganda aus, die es schon lange vor dem Krieg gegeben hatte. Der Hass auf die Kultur als vorbereitendes Scharmützel um die öffentliche Meinung. Diese Psychologie hatte bereits hinter den Pressekampagnen gegen die postimpressionistischen Ausstellungen 1910 und 1912 gesteckt.
    Virginia teilte seine Meinung nicht und fand seine Deutung zu subtil. Keiner der Propagandalakaien, die hinter diesen Bildern steckten, hatte auch nur einen Gedanken an Beethoven oder Goethe verschwendet und möglicherweise nie von ihnen gehört. Dass die Öffentlichkeit beim Anblick der
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