Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York
Autoren: Susan Beth Pfeffer
Vom Netzwerk:
 
    EINS
    Mittwoch, 18 . Mai
    In dem Moment, als sich die Welt, wie er sie kannte, für immer verändern sollte, stand Alex Morales bei Joey’s Pizza hinter dem Tresen und schnitt eine Spinat-Pesto-Pizza in acht ungefähr gleich große Stücke.
    »Ich hatte auch noch eine Vorspeise bestellt.«
    »Steht schon hier, Sir«, sagte Alex. »Und Ihr Knoblauchbrot auch.«
    »Danke.« Der Mann zögerte. »Sag mal, bist du nicht Carlos, der Sohn von Luis?«
    Alex grinste. »Carlos ist mein großer Bruder«, sagte er. »Ich bin Alex.«
    »Ach ja«, sagte der Mann. »Hör mal, könntest du deinem Vater wohl ausrichten, dass wir in 12 B ein Problem mit dem Abfluss haben?«
    »Mein Vater ist ein paar Tage verreist«, sagte Alex. »Nach Puerto Rico, zur Beerdigung meiner Großmutter. Aber am Samstag müsste er wieder zurück sein. Ich sag’s ihm, sobald er nach Hause kommt.«
    »Jaja, kein Stress«, sagte der Mann. »Auf die paar Tage kommt’s jetzt auch nicht mehr an. Mein Beileid wegen deiner Großmutter.«
    »Danke«, sagte Alex.
    »Was macht denn dein Bruder jetzt?«, fragte der Mann.
    »Der ist bei den Marines«, sagte Alex. »In Kalifornien, Twentynine Palms.«
    »Alle Achtung«, sagte der Mann. »Grüß ihn von mir. Greg Dunlap, Apartment 12 B.«
    »Mach ich«, sagte Alex. »Und meinem Vater sage ich wegen der Sache mit dem Abfluss Bescheid.«
    Mr Dunlap lächelte. »Gehst du noch zur Schule?«
    Alex nickte. »St. Vincent de Paul Academy.«
    »Gute Schule«, sagte Mr Dunlap. »Mein Lebensgefährte, Bob, war da auch, und er sagt, das ist die beste in der ganzen Stadt. Weißt du schon, auf welches College du willst?«
    Das wusste Alex sehr genau, und ebenso genau wusste er, welches außerdem in Frage kam und mit welchem er auch noch ganz zufrieden wäre. »Meine erste Wahl ist Georgetown«, sagte er. »Aber das hängt von den Gebühren ab. Und davon, ob sie mich überhaupt nehmen, natürlich.«
    Mr Dunlap nickte. »Ich werde Bob erzählen, dass der Sohn von Luis auf die Vincent de Paul geht«, meinte er. »Dann könnt ihr beide mal ein Schwätzchen halten.«
    »Gern«, sagte Alex. » 32 Dollar 77 wären’s dann für Sie.«
    Mr Dunlap reichte ihm zwei Zwanziger. »Stimmt so«, sagte er. »Spar den Rest fürs College. Und vergiss nicht, Carlos schöne Grüße von mir auszurichten. Luis kann wirklich stolz sein auf seine beiden Söhne.«
    »Vielen Dank«, sagte Alex und reichte Mr Dunlap die Pizza, die Vorspeise und die Tüte mit dem Knoblauchbrot. »Und ich sag meinem Vater, er soll sich um Ihren Abfluss kümmern, sobald er zurück ist.«
    »Keine Eile«, sagte Mr Dunlap.
    Alex wusste, dass jemand, der ›Keine Eile‹ sagte, eigentlich ›Aber zackig‹ meinte. Sieben Dollar Trinkgeld waren allerdings die beste Garantie dafür, dass Alex seinem Vater noch in der Minute, in der er von Nanas Beerdigung zurückkam, von den Abflussproblemen in 12 B erzählen würde.
    »Das Bild ist weg!«, schimpfte Joey aus der Küche. »Die Yankees auf allen Bases, keine drei Runden vor Schluss, und da macht mir das Kabel schlapp!«
    »Die Saison fängt doch gerade erst an«, meinte Alex. »Da geht’s doch noch um nichts.«
    »Ich hab für das Spiel eine Wette laufen«, sagte Joey.
    Alex verkniff sich die Bemerkung, dass das Spiel auch ohne Kabelempfang weiterging, und wandte sich stattdessen dem nächsten Kunden zu, um seine Bestellung aufzunehmen – zwei Stück Peperoni-Pizza und eine große Cola.
    Um zehn konnte er endlich Feierabend machen, später als sonst, aber die Pizzeria hatte zu wenig Personal, und da Joey wegen des versäumten Baseballspiels ohnehin schon gereizt war, wollte Alex nicht einfach so verschwinden. Die Nacht war schwül und der Himmel bedeckt, ein Gewitter lag in der Luft, aber solange es nicht regnete, ging Alex gern zu Fuß. Er dachte an Georgetown und daran, wie seine Chancen standen, dort angenommen zu werden.
    Sein Amt als stellvertretender Jahrgangsstufensprecher der elften Klassen war sicher ein Pluspunkt, aber seine Aussichten, es im letzten Schuljahr vielleicht noch zum ersten Sprecher zu bringen, waren gleich null. Chris Flynn würde garantiert wiedergewählt werden. Dafür hatte Alex immerhin den Vorsitz im Debattierclub sicher. Aber wer würde wohl zum Herausgeber der Schülerzeitung ernannt, er oder Chris? Während er ihre jeweiligen Aussichten abwog, wurde er von einem Pärchen, das aus der Olde Amsterdam Tavern auf die Straße trat, aus seinen Gedanken gerissen.
    »Komm schon, Süße«, sagte der Mann.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher