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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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irgendwo in der Küche Votivkerzen aufbewahrte. Er stolperte herum, bis er eine davon fand und die Streichhölzer dazu. Sie gab nur wenig Licht, aber es reichte, um den Weg zu seinem Zimmer zu finden, das er sich bis vor kurzem mit Carlos geteilt hatte.
    Die beiden Kinderzimmer waren ursprünglich das Elternschlafzimmer gewesen, aber nach ihrem Einzug hatte sein Vater eine Trennwand eingebaut, damit Mädchen und Jungen jeweils ein eigenes kleines Zimmer bekamen. Papá und Mamá schliefen nun im ursprünglichen Kinderzimmer. Die Wohnung war eng, sogar ohne Carlos, aber sie war sein Zuhause, und Alex beklagte sich nicht.
    Rasch zog er sich aus und lehnte die Zimmertür nur an, damit er hörte, wenn Mamá nach Hause kam. Dann blies er die Kerze aus und legte sich unten ins Etagenbett. Durch die dünnen Wände hörte er Brianas Dios te salve, María . Nach Ansicht seines Vaters war Bri ein bisschen zu fromm, aber seine Mutter sagte immer, das sei nur eine Phase und normal für eine Vierzehnjährige.
    Wobei Alex sich nicht vorstellen konnte, dass Julie jemals eine solche Phase durchlaufen würde.
    Auch er hatte mit vierzehn, also vor drei Jahren, eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt, Priester zu werden. Aber bei Bri war das etwas anderes. Alex konnte sie sich sehr gut als Nonne vorstellen. Und seine Mutter würde sich darüber freuen, das wusste er.
    Schwester Briana, dachte er und drehte sich auf die Seite, das Gesicht zur Wand. Meine Schwester, die Schwester. Und während er noch über diesen Einfall grinste, war er auch schon eingeschlafen.
    Donnerstag, 19 . Mai
    »Alex! Alex! Lass mich rein!«
    Im ersten Moment dachte Alex, er träume. Er hatte unruhig geschlafen und war mehrmals aufgewacht, um nachzusehen, ob der Strom wieder ging und ob seine Mutter zurückgekommen war. Das schwüle, heiße Wetter hatte die Sache nicht besser gemacht. Die ganze Nacht hatte er von Sirenen geträumt, von Unfällen und Katastrophen, in die er irgendwie verwickelt war, ohne sie verhindern zu können.
    »Alex!«
    Alex schüttelte den Kopf, um wach zu werden, und sah aus dem Fenster. Es war noch dunkel draußen und die Straßenbeleuchtung war aus, aber das Gesicht des Mannes konnte er trotzdem erkennen. Es war Onkel Jimmy, der da vor dem Fenster kauerte.
    Alex sprang aus dem Bett. »Ich mach dir auf«, sagte er, warf den Bademantel über und lief zur Wohnungstür.
    »Die Klingel funktioniert nicht«, sagte Onkel Jimmy. »Totaler Stromausfall.«
    »Was ist denn los?«, fragte Alex. »Wie spät ist es?«
    »Halb fünf«, sagte Onkel Jimmy. »Ihr müsst mir in der Bodega helfen. Weck deine Schwestern, und dann zieht euch so schnell wie möglich an.«
    »Was ist denn mit der Bodega?«, fragte Alex, während er schon an die Zimmertür seiner Schwestern hämmerte, bis er hörte, dass sie aufwachten.
    »Erklär ich euch später«, sagte Jimmy. »Zieht euch jetzt erst mal an. Und beeilt euch.«
    Wenige Minuten später standen Alex, Briana und Julie fertig angezogen im Wohnzimmer. »Dann mal los«, sagte Jimmy. »Ich bin mit dem Lieferwagen da.«
    »Wo fahren wir denn hin?«, fragte Briana. »Was ist passiert? Ist Mamá schon zurück?«
    »Wohl kaum«, erwiderte Alex. »Sonst wäre sie doch längst aufgewacht. Was meinst du, wie lange wir brauchen werden, Onkel Jimmy?«
    »So lange wir eben brauchen«, antwortete er.
    »Und die Schule?«, fragte Briana. »Sind wir rechtzeitig für die Schule zurück?«
    »Wegen der Schule macht euch mal keine Gedanken«, sagte Jimmy. »Macht euch am besten überhaupt keine Gedanken. Kommt einfach mit.«
    »Und wenn Mamá anruft?«, fragte Briana. »Oder Papá? Sie werden sich Sorgen machen, wenn keiner drangeht.«
    Alex nickte. »Dann kommt eben nur Julie mit«, sagte er. »Und Bri bleibt hier, für den Fall, dass jemand anruft.« Bris Gesellschaft wäre ihm lieber gewesen, aber Julie konnte man noch nicht so lange allein lassen.
    »In Ordnung«, sagte Jimmy. »Aber wir müssen jetzt los.«
    Onkel Jimmy hatte seinen Lieferwagen in zweiter Reihe vor dem Haus geparkt, aber so früh am Morgen schien das niemanden zu stören. Sie stiegen ein und Jimmy fuhr los, erst nach Osten, quer durch den Park, und dann die ungefähr zwanzig Blocks nach Norden bis zur Bodega. Der Verkehr war dichter, als Alex um diese Uhrzeit erwartet hätte, und in der Ferne hörte man immer noch Sirenen.
    »Also, was ist denn nun passiert?«, fragte er. »Weiß man inzwischen, wodurch der Stromausfall verursacht wurde?«
    »Ja, das weiß
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