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Ein Paradies der Sinne

Ein Paradies der Sinne

Titel: Ein Paradies der Sinne
Autoren: Linda Lael Miller
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1. KAPITEL
    Amy Ryan schlief tief und fest, als jemand an ihrem großen Zeh rüttelte.
    „Amy“, hörte sie Tyler leise ihren Namen rufen.
    „Nein, nicht schon wieder!“ Sie stöhnte und zog sich die Decke über den Kopf. Zwei Jahre waren vergangen, seit ihr attraktiver, junger Tyler bei einer Blinddarmoperation auf tragische Weise ums Leben gekommen war. „Ich will nicht mehr davon träumen. Ich wache jetzt auf!“
    Wieder spürte Amy eine Berührung an ihrem Zeh. Seufzend drehte sie sich um und knipste die Nachttischlampe an, um Mimi, Ashleys überaus lebhafte Katze, von ihrem Bett zu verscheuchen. Sie war sicher, dass diese wieder einmal ihre Füße als Spielzeug benutzte.
    Amy schrie vor Schreck auf, als sie statt der Katze Tyler am Fußende ihres Bettes stehen sah. Nicht etwa, weil sie Angst vor ihm hatte – sie würde sich niemals vor ihm fürchten. Nein, sie hatte Angst vor der Erkenntnis, den Verstand zu verlieren.
    „Das ist doch nicht möglich!“, wisperte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Zwischen den Fingern hindurch sah sie Tyler lächeln. „Dabei habe ich extra an einer Trauertherapie teilgenommen“, protestierte sie.
    Tyler lachte laut auf und nahm neben ihren Füßen Platz. Amy spürte sogar, wie die Matratze unter seinem Gewicht nachgab. „Es ist möglich“, sagte er, und seine Stimme klang so tief und klar wie zu seinen Lebzeiten. „Ich gebe zu, dass es ein schlechter Scherz ist, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.“
    „O mein Gott!“ Verzweifelt griff Amy nach dem Telefon.
    Tylers Lächeln wurde zynisch. „Wen willst du denn anrufen?“
    Amy schluckte und ließ den Hörer auf die Gabel zurückfallen. Ja, wen konnte sie schon anrufen, wem erklären, dass ein Geist zu ihren Füßen saß? Man würde sie sofort in eine Anstalt einweisen.
    Sie strich sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und schloss ganz fest die Augen. Als sie sie wieder öffnete, saß Tyler immer noch auf ihrem Bett. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und strahlte Amy aus seinen warmherzigen braunen Augen schelmisch an. Sie hatte sich schon während des ersten Semesters an der University of Washington in ihn verliebt und ihm bald darauf zwei Kinder geboren: die inzwischen acht Jahre alte Ashley und den sechsjährigen Oliver. Der Tod ihres Mannes war das Schlimmste, das sie je durchgemacht hatte.
    „Was ist nur los mit mir?“ Verzweifelt strich Amy sich durch das vom Schlaf zerzauste, schulterlange, braune Haar.
    Tyler senkte den Kopf und blickte an sich hinab. Er trug eine lange dunkle Hose und ein weißes Hemd, darüber einen modernen blauen Kaschmirpullover. „Ich sehe überzeugend echt aus, nicht wahr?“ Seine Stimme klang so stolz wie damals, wenn er vor Gericht einen besonders kniffligen Fall gewonnen hatte. „Aber eines lass dir gesagt sein: Dir auf diese Weise gegenüberzutreten, war wahrhaftig kein Kinderspiel.“
    Amy schlug die Decke zurück, stürzte ins angrenzende Badezimmer und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. „Das träume ich nur“, versuchte sie sich zu beruhigen.
    Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie im Spiegel, dass Tyler ihr gefolgt war und sich jetzt lässig gegen die Tür lehnte. „Nimm dich zusammen, Amy“, meinte er gutmütig. „Ich habe acht Monate gebraucht, um diesen Trick zu lernen. Aber ich kann die Energie noch nicht sehr lange halten – ich kann jederzeit wieder unsichtbar werden. Vorher habe ich dir jedoch noch etwas Wichtiges zu sagen.“
    Amy drehte sich zu ihm um. Haltsuchend griff sie nach dem Waschbeckenrand hinter ihrem Rücken. Was wird Debbie wohl zu alledem sagen, wenn ich ihr davon erzähle, überlegte sie.
    Dein Unterbewusstsein versucht, dir etwas mitzuteilen, würde ihre Freundin sicher antworten. Debbie arbeitete in der Beratungsstelle einer großen Klinik und bereitete sich auf ihren Doktor der Psychologie vor. Es wird Zeit, dass du dich endlich von Tyler löst – das Leben geht weiter, weißt du.
    „Wa…was wolltest d…du mir sagen?“, erkundigte Amy sich stotternd. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihr Verstand ihr einen Streich spielte.
    Mit einer liebevollen, aber zugleich traurig wirkenden Miene ließ Tyler den Blick über sie schweifen: über ihr zerzaustes Haar, das dünne gelbe Nachthemd, ihre sehr schlanken Beine. „Ein alter Freund von mir wird dich in den nächsten Tagen anrufen“, sagte er dann leise. „Er heißt Harry Griffith, und er leitet eine multinationale Investmentgesellschaft. Seine
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