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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt
Autoren: Philip Kerr
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PROLOG
    Berlin, September 1937
     
    Ich weiß noch, wie schön das Wetter damals im September war. Hitlerwetter, sagten die Leute. Als ob die Elemente es ausgerechnet mit Adolf Hitler gut meinten. Ich erinnere mich, wie der Führer eine pathetische Rede hielt, in der er Kolonien für Deutschland forderte. Das war wohl das erste Mal, dass ihn irgendjemand von uns das Wort «Lebensraum» verwenden hörte. Niemand dachte auch nur eine Sekunde darüber nach, dass Lebensraum für uns hieß, andere sollten erst mal ihr Leben lassen.
    Der Raum, in dem ich damals lebte und arbeitete, war Berlin. Dort gab es für einen Privatdetektiv jede Menge Arbeit. Es ging natürlich immer um vermisste Personen. Und die meisten waren Juden. Und von diesen waren wiederum die meisten in irgendwelchen dunklen Gassen ermordet oder aber in ein Konzentrationslager verfrachtet worden, ohne dass die Behörden es für nötig gehalten hatten, die Angehörigen zu informieren. Die Nazis hatten an diesem Vorgehen ziemlich viel Spaß. Offiziell wurden die Juden natürlich zur Auswanderung ermutigt, aber da es ihnen untersagt war, Eigentum mitzunehmen, wanderten nur wenige aus. Einige Leute ersannen allerdings raffinierte Tricks, um ihr Geld dennoch aus Deutschland hinauszuschaffen.
    Ein solcher Trick war beispielsweise, ein großes, versiegeltes Päckchen, das verschiedenste Wertgegenstände enthielt, mit der Aufschrift «Mein Letzter Wille» bei einem deutschen Amtsgericht zu hinterlegen, ehe man eine «Urlaubsreise» machte. Die betreffende jüdische Person «verstarb» dann im Ausland und sorgte dafür, dass das zuständige französische oder englische Gericht das deutsche Amtsgericht um die Übersendung des «Letzten Willens» ersuchte. Deutsche Amtsgerichte, an denen ja deutsche Juristen wirkten, waren im Allgemeinen nur zu gern bereit, den Ersuchen anderer Juristen nachzukommen, selbst wenn es französische oder englische waren. Auf diese Weise gelang es einigen wenigen Juden, ausreichend Bargeld oder Wertsachen wiederzuerlangen, um ein neues Leben in einem neuen Land anzufangen.
    Es ist vielleicht schwer zu glauben, aber ein weiteres raffiniertes Verfahren dachte man sich ausgerechnet am Judenreferat des SD aus – des Sicherheitsdienstes Reichsführer-SS. Eine Methode, die, so fand man, doppelten Vorteil hatte: Einerseits wurde die Auswanderung von Juden gefördert, und andererseits war der Bereicherung gewisser SD-Beamter gedient. Es war der sogenannte Schacher, benannt nach dem jiddischen Wort Socher für umherziehender Händler , und ich kam zum ersten Mal damit in Berührung, als sich zwei äußerst seltsame Klienten an mich wandten.
    Der eine, Paul Begelmann, war ein reicher jüdischer Geschäftsmann, Eigentümer mehrerer Autohäuser in ganz Deutschland. Der andere war SS-Sturmbannführer Dr.   Franz Six, Leiter des Judenreferats des SD. Ich wurde zu einem Treffen mit ihnen in den bescheidenen, aus drei Räumen bestehenden Sitz der Abteilung im Hohenzollernpalais in der Wilhelmstraße bestellt. Hinter Six’ Schreibtisch hingen ein Führerbild und eine ganze Reihe Universitätsurkunden aus Heidelberg, Königsberg und Leipzig. Six mochte ja ein Nazigauner sein, aber dafür ein hochqualifizierter. Und er war nicht gerade Himmlers idealtypischer Arier. Um die dreißig, dunkelhaarig und mit einem selbstgefälligen Zug um den Mund, sah er im Ganzen unwesentlich weniger jüdisch aus als Paul Begelmann. Ihn umgab ein leichter Geruch von Rasierwasser und Heuchelei. Auf seinem Schreibtisch stand eine kleine Büste von Wilhelm von Humboldt. Der Gründer der Berliner Universität war berühmt dafür, dass er die Grenzen definiert hatte, jenseits derer der Staat nichts zu suchen hatte. Es schien mir unwahrscheinlich, dass Sturmbannführer Six da mit ihm einer Meinung war.
    Begelmann war älter und größer, mit dunklem, welligem Haar und Lippen, so dick und rosa wie zwei Scheiben Frühstücksfleisch. Er lächelte, aber seine Augen sagten etwas ganz anderes. Seine Pupillen waren klein, als ob er es eilig hätte, dem Scheinwerferlicht des SD zu entkommen. In diesem Gebäude und inmitten all der schwarzen Uniformen wirkte er wie ein Chorknabe, der versucht, sich mit einem Rudel Hyänen gutzustellen. Er sprach nicht viel. Das Reden übernahm Six. Ich hatte gehört, Six stamme aus Mannheim. In Mannheim gab es eine berühmte Jesuitenkirche. Und genau so kam er mir vor, dieser Franz Six in seiner schnittigen schwarzen Uniform: Nicht wie der typische rohe
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