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Ferien mit Oma

Ferien mit Oma

Titel: Ferien mit Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Da raschelt was

    Es war mitten in der Nacht. Jan schlich auf Zehenspitzen durch den dunklen Flur. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Eine Diele knarrte. Erschrocken hielt er an und lauschte. Noch zwei rasche Schritte, dann hatte er das Schlafzimmer der Eltern erreicht, die gerade verreist waren. Oma schlief dort mit dem Baby. Leise öffnete er die Tür und hörte erleichtert Omas beruhigendes Schnarchen. Er rüttelte sie sanft am Arm.
    „Oma, wach auf, in der Küche ist was los, da raschelt was!“
    Oma setzte sich schlaftrunken im Bett auf. „Nun, mein Junge, reg dich nicht auf, das wird deine Schildkröte sein oder Brigittes Kaninchen oder eine von Peters Mäusen.“
    „Nein, nein, das ist bestimmt ein Einbrecher!“ rief Jan. „Soll ich meinen Pfeil und den Bogen holen?“
    „Pst, schrei nicht so, sonst wacht das Baby auf! Pfeil und Bogen laß bitte im Schrank. Wenn es wirklich ein Einbrecher ist und du schießt auf ihn, könntest du ihn verletzen!’ Oma schwang die Beine aus dem Bett. „Komm, wir wollen erst mal nachsehen.“
    „Aber Oma, wenn er uns nun was tut?“
    Doch Oma hörte nicht mehr. Sie ergriff ihren Regenschirm, der in der Ecke stand, und ging in ihren Pantoffeln lautlos voran. Jan folgte ihr zögernd. Vor der Küchentür blieben sie stehen und lauschten. Von drinnen ertönte Rascheln, Schaben und Kratzen und das Keuchen eines Menschen. Oma öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte hinein. Jan guckte unter ihrem Arm hindurch. Die Küche war leer und dunkel. Alles war still. Doch plötzlich ertönte wieder das Rascheln und Scharren. Zwei Hände schoben sich von draußen über das Fensterbrett. Wie ein schwarzer Scherenschnitt tauchte vor dem grauen Nachthimmel der Kopf und dann der Oberkörper eines Mannes auf. Ein Bein wurde ins Zimmer geschwungen und dann das andere nachgezogen. Keuchend saß der Mann auf dem Fensterbrett. Er war dünn und klein.

    Oma öffnete die Küchentür weit. Der Mann erstarrte.
    „Himmel, Herrgott, Donnerwetter noch mal!“ rief er und schwang sich rückwärts nach draußen. Gleich darauf erklang ein Schrei und die Hände suchten wieder Halt.
    Oma lief ans Fenster. „Was machen Sie denn da?“ rief sie ärgerlich. „Wie kann man nur so leichtsinnig sein!“
    Der Mann sah Oma mit entsetzten Augen an. „Ich hänge fest, verflixt noch mal, ich hänge unten irgendwo fest. Eine Stange pikt in mein Bein, und wenn ich loslasse und runterfalle, wird sie mein Bein durchbohren, ah, oh, aua!“
    Oma beugte sich aus dem Fenster und packte den Mann unter den Armen, aber sie konnte ihn nicht hereinziehen, er war zu schwer.
    „Jan“, rief sie über die Schulter, „lauf nach unten und sieh nach, ob du den Einbrecher befreien kannst. Ich halte ihn solange fest.“
    Jan verschwand.
    „Einbrecher“, keuchte der Mann, „ich bin doch kein Einbrecher, verdammt noch mal.“
    „Hören Sie auf zu fluchen“, befahl ihm Oma. „Wollten Sie etwa nicht bei uns einbrechen?“
    „Ja, ja, aber — Himmel, Herrgott, Donnerwetter noch mal, tut das Bein weh!“
    „Also“, sagte Oma, „wenn Sie noch einmal fluchen, passiert etwas. Ich erschrecke dabei nämlich immer sehr, das nächste Mal lasse ich Sie bestimmt fallen.“
    „Nein, bitte nicht, liebe Dame“, jammerte der Mann. „Ich meine es ja gar nicht so, es fährt mir nur immer so raus.“
    „Dann beißen Sie gefälligst die Zähne zusammen“, sagte Oma. „Sie müssen bedenken, daß Sie mit Ihrem Mund sehr dicht an meinem Ohr sind, und ich bin fluchen nicht gewöhnt.“
    Unterdessen war Jan im Garten angekommen. „Er hängt in den Stangenbohnen“, rief er hinauf. „Eine Stange ist ihm ins Hosenbein gefahren und — au ja, er blutet, die Hose ist ganz naß.“
    „Versuch ihn frei zu machen“, rief Oma, „und dann hol die Leiter. Wenn er mit dem verletzten Bein nach unten springt, kann es noch schlimmer werden.“ Der Einbrecher sagte nichts mehr. Er preßte die Zähne fest zusammen und zischte und stöhnte nur manchmal vor sich hin. Mit viel Mühe hatte Jan schließlich die Stange abgebrochen und aus der Hose gezogen. Dann lief er zum Schuppen, holte die Leiter heraus und schob sie unter den Mann, der aufatmend darauf Halt suchte. Er stieß einen kurzen Schmerzenslaut aus, als er mit dem verletzten Bein auftrat. Oma ließ ihn los. Er stand einen Augenblick und blickte sie aus trüben, ängstlichen Augen an. „Na, dann auf Wiedersehen oder — nein, vielleicht lieber nicht. Und vielen Dank auch!“ Er fing an, die
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