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Ferien mit Oma

Ferien mit Oma

Titel: Ferien mit Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Leiter abwärts zu steigen.
    Oma beugte sich aus dem Fenster. „Wo wollen Sie denn hin? Kommen Sie zurück!“
    „Ach nein, ich glaube, ich werde lieber gehen.“
    „Sie kommen sofort zurück!“ befahl Oma streng. „Ich habe mit Ihnen zu reden.“
    Zögernd kletterte der Einbrecher die Leiter hinauf und schwang sich in die Küche. „Jan“, rief Oma aus dem Fenster, „bring die Leiter wieder in den Schuppen, bevor du raufkommst.“ Sie wandte sich dem Mann zu. „Ich gewöhne die Kinder schon frühzeitig an Ordnung, sonst lernen sie es nie.“ Sie schob ihm einen Stuhl hin und knipste Licht an.
    Der kleine Mann blinzelte ängstlich und verwirrt in die Helle. Er hatte ein spitzes, unrasiertes Gesicht und trug einen schmutzigen, grauen Anzug. Aus einem Hosenbein, das zerrissen war, tropfte Blut auf den Fußboden.
    Oma betrachtete ihn mißbilligend. „Sagen Sie mal, warum sind Sie eigentlich so leichtsinnig aus dem Fenster gesprungen, wo Sie nun schon mal drin waren?“
    Der Einbrecher biß sich auf die Lippen, dann murmelte er: „Als ich da so saß und plötzlich die Küchentür aufging und Sie da standen, so still in dem langen weißen Nachthemd, mit dem Schirm in der Hand, da habe ich gedacht — verflucht noch mal.“

    Oma runzelte die Stirn.
    „Da habe ich gedacht, das sieht ja fast wie ein Gespenst aus, verschwinde man lieber!“
    Oma blickte an sich hinab. „Ach ja, ich werde mir einen Morgenrock überziehen. Hören Sie, ich komme gleich zurück, verbinde Ihr Bein und mach’ einen Tee. Dann werden wir uns unterhalten.“
    In diesem Augenblick steckte Jan den Kopf zur Tür herein.
    Oma nickte ihm zu. „Ich bin gleich wieder da, leiste du dem Herrn solange Gesellschaft.“
    Als Oma im Morgenrock mit Verbandsstoff, Alkohol und Schere zurückkehrte, saß Jan auf dem Küchentisch und baumelte mit den Beinen. „Oma“, rief er aufgeregt, „der Einbrecher ist vom Zirkus. Früher war er Seiltänzer und jetzt zaubert er, und er hat einen richtigen Wagen mit einem Pferd, mit dem fährt er von einem Ort zum andern.“
    „Soso“, sagte Oma. „Jetzt hilf mir aber erst einmal.“ Sie gab Jan das Verbandszeug zu halten. Geschickt schnitt sie das zerfetzte Hosenbein auf und säuberte die Wunde mit Alkohol.
    „Aua, verdammt noch mal, aua!“ rief der Einbrecher. Oma sah vorwurfsvoll zu ihm auf. „Ach, ich hab’ mir das Fluchen doch nun mal so angewöhnt“, stotterte er. „Was soll ich denn nur machen?“
    Oma dachte nach. „Könnten Sie statt dessen nicht vielleicht ,o weh’ sagen?“ Sie nahm einen neuen Wattebausch, tauchte ihn in Alkohol und säuberte sorgfältig die Wundränder.
    „Aua, o weh, oh, oh, oh, o weh!“ schrie der Einbrecher.
    „Seien Sie nicht so laut“, ermahnte ihn Oma. „Sonst wecken Sie die Kinder auf. Wie gut, daß mein Sohn und meine Schwiegertochter verreist sind. Mein Sohn hört jedes Geräusch im Haus.“
    Die Wunde schien Gott sei Dank nicht tief zu sein, aber sie war zerfetzt und verschmutzt. Nachdem Oma sie gesäubert hatte, machte sie einen hübschen weißen Verband. Jan mußte eine Fußbank aus ihrem Zimmer holen, damit der Einbrecher sein Bein darauflegen konnte.
    „Das Baby brüllt“, berichtete Jan.
    „Sehen Sie“ — Oma sah den Einbrecher ärgerlich an — , „nun haben Sie es geweckt mit Ihrem unbeherrschten Geschrei. Wir müssen es holen, sonst weckt es noch das ganze Haus auf.“
    Wenig später hantierte Oma am Herd, kochte Tee und wärmte einen Rest vom Mittagessen auf, denn der Einbrecher hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Jan deckte den Tisch, und der Einbrecher hielt das Baby auf dem Schoß. Wenn es zu weinen anfing, kitzelte er es, dann mußte es lachen. Schließlich steckte es den Finger in den Mund und betrachtete friedlich und nachdenklich das Bein des Einbrechers in dem leuchtend weißen Verband. Eigentlich war es schon zwei Jahre alt, aber weil alle es immer nur „Baby“ nannten, konnte es sich die Babymanieren noch nicht abgewöhnen.

    Es wurde richtig behaglich in der Küche, als Oma schließlich eine Tasse Tee vor sich hatte und der Einbrecher seine Suppe löffelte. Er saß ein bißchen ungeschickt da, weil er das Baby nicht hergeben wollte. „Lassen Sie es nur bei mir, bis es eingeschlafen ist, meine Dame“, sagte er. Jan knabberte eine Handvoll Kirschen und spuckte die Kerne in kunstvollen Bögen durchs offene Fenster in den Garten hinaus.
    Endlich war das Baby eingeschlafen, und der Einbrecher hatte seine Suppe aufgegessen. Oma
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