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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau
Autoren: Wilken Constanze
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Fontainebleau
    Oktober 1547
    D er Dianengarten von Fontainebleau lag still in der Abenddämmerung. Vertraut und doch so fremd ragten die Umrisse des Schlosses vor ihr auf. Die Frau in dem schlichten Reisekleid zupfte nervös an der Kapuze ihres Umhangs. In weniger als einer Stunde würde es dunkel sein, und sie wollte die Galerie sehen, wenn zumindest noch etwas Tageslicht durch die Fenster fiel. Die Farben strahlten nur bei Tageslicht in voller Pracht. Den jungen Stallburschen neben sich hatte sie bestochen. »Ich brauche ein Licht, wenn ich herauskomme«, sagte sie leise.
    »Kein Licht, Madame. Ich werde am Eingang auf Euch warten.«
    Er schien den Weg auch blind finden zu können, so sicher bewegte er sich zwischen Bäumen, Sträuchern und Kübeln hindurch auf den Trakt zu, der das alte Schloss mit dem neuen verband. Sie vertraute nicht ihm, sondern dem Goldscudo, den sie ihm gegeben hatte. Menschen zu vertrauen war ein Risiko, das sie schon lange nicht mehr einging. Nur ein paar Schritte über den freien Platz trennten sie noch von dem Treppenaufgang, der zur Galerie hinaufführte. Sie meinte die Küchen riechen zu können, die sich im Kellergeschoss befanden. Darüber lagen die Bäder und im ersten Stock die Galerie. »Und es ist wirklich niemand dort?«
    »Nein, Madame. Der König kommt erst morgen, und
Meister Primaticcio will nicht, dass die Hofleute allein durch die Galerie gehen.«
    Sie huschten über den Kies. Die kleinen Steine knirschten unter ihren Schuhen, und sie meinte, das Geräusch müsste das gesamte Schloss alarmieren, doch alles blieb ruhig. Im Schatten des Treppenaufgangs drückte der Stallbursche ihr einen Schlüssel in die Hand. »Hier, und jetzt beeilt Euch. Sie sind alle beim Essen.«
    »Woher hast du den?«, fragte sie, doch der Bursche schubste sie ungeduldig zur Treppe.
    »Geht schon, geht!«
    Sie würde keine zweite Gelegenheit erhalten. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und rannte die Stufen hinauf, bis sie mit klopfendem Herzen vor den Flügeltüren stand. So viele Jahre waren vergangen, seit sie hier an seiner Seite gestanden hatte. So viel war seither geschehen. König Franz I. war im Frühjahr verstorben, und sein Sohn Henri war nun Herrscher von Frankreich. Vor vier Monaten war Matteo nach Siena gekommen und hatte ihr das Unglaubliche erzählt. Die Galerie. Ängstlich sah sie sich um, während sie den Schlüssel vorsichtig im Schloss drehte, bis es klickte und die Tür knarrend aufschwang. Rasch schob sie sich hindurch.
    Ihre Reisegefährten hatten aufgeregt erzählt, dass der König nach Fontainebleau käme. Ein König, der niemals den Thron hätte besteigen sollen. Henri hatte Fontainebleau nie so geliebt wie sein Vater, und das war einer der Gründe, weshalb sie gekommen war. Sie wollte das Schloss sehen, wie Franz es geschaffen hatte. Fontainebleau war sein Kunstwerk, das Lebenswerk eines Mannes, der einen Traum von Italien gehabt hatte. Ein König mit dem Herzen eines Ritters, der Seele eines Künstlers und dem Geist eines Gelehrten, ein König, dessen Zeitalter Vergangenheit war. Henri
II. würde dem Schloss seinen eigenen Stempel aufdrücken wollen. Er würde verändern oder zerstören, was ihm nicht gefiel. Frankreich sah schweren Zeiten entgegen.
    Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das diffuse Licht der Dämmerung, das noch durch die hohen Fenster hereinschien. Sie hielt den Atem an. Der Fußboden! Scibec konnte stolz sein auf seine Arbeit. Die hölzernen Intarsien entsprachen dem komplizierten Muster der Decke. Und dann fiel ihr Blick auf die Wände, an denen sich Figuren und Früchte, Säulen und Baldachine aus weißem Stuck um farbenprächtige Bilder rankten. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Giovanni«, flüsterte sie. Alle Gefühle, die sie stets tief in sich verborgen hatte, brachen auf, als sie das gewaltige Kunstwerk sah, das Rosso Fiorentino in Fontainebleau geschaffen hatte.
    Die Gerüste waren fort, und der langgestreckte Raum wirkte nun in seiner ganzen Größe. Sie schloss die Augen und meinte die Stimmen der Künstler, der Maler, Stuckateure und Arbeiter zu hören: Thiry mit seinem niederländischen Akzent und Matteo, der hübsche Florentiner, der ihr das Geheimnis der Herstellung des azzurro oltramarino verraten hatte. Sie ging ans östliche Ende der Galerie zum Fresko der Venus. Mit den Händen fuhr sie die Vertäfelung entlang. Sie kletterte auf die hölzerne Bank mit den kunstvoll geschnitzten Armlehnen und griff nach den schlanken Fesseln
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