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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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    Eigentlich hatte ich geplant, spätestens mit Dreißig reich, seriös und gesetzestreu zu sein, doch die Umstände waren eindeutig gegen mich. Gute Vorsätze sind eine Sache, Geldmangel und ein diebischer Charakter eine andere. Und dann noch diese verrückte Ossi mit ihrem rosaroten Trabbi – das konnte nur ins Unglück führen.
    Ich will nicht behaupten, daß Anja Behrens ganz allein für das Desaster verantwortlich war, das im Kölner Dom begann und nach einer Irrfahrt durch die ganze Republik in den Trümmern eines 30-Tonner-Diesels endete, aber sie hatte mindestens ebensoviel Schuld an meinem Kamikaze-Trip wie dieser verteufelte Gipsarm, Erich Honecker oder die Leiche im Dom.
    Von meinem Hang zur Kriminalität ganz zu schweigen.
    Aber ich will mich nicht beklagen.
    Als Krimineller muß man Tag für Tag mit dem Schlimmsten rechnen und das Beste daraus machen, auch wenn das wenig genug ist. Wer sich seinen Lebensunterhalt als Taschendieb verdient, der weiß, daß praktisch jeder Griff in fremde Börsen der letzte sein kann.
    So gesehen, trifft die Hauptschuld meine Mutter.
    Nichts gegen meine Mutter, doch daß ich Taschendieb geworden bin, hat allein sie zu verantworten.
    Harry Hendriks, lern’ was Anständiges, pflegte sie immer zu sagen, wenn ihr die Männer etwas Zeit für ihren mißratenen Sohn ließen, was selten genug der Fall war. Werd’ Bankier. Oder irgendwas anderes, was viel Geld bringt. Börsianer vielleicht. Dein arme alte kranke Mutter hat schon immer von einem erfolgreichen Börsianer geträumt.
    Die Vorstellung, ein erfolgreicher Börsianer zu werden, gefiel mir.
    Börsen hatten mich schon im zarten Vorschulalter tief beeindruckt. Als Kind konnte ich es kaum erwarten, daß meine Mutter im Schlafzimmer verschwand, mit einem ihrer Männer im Schlepptau, die sie so oft wechselte, als würde sie dafür bezahlt werden. Kaum drang jenes Gequietsche und Gekeuche durch die Schlafzimmertür, das mich schon früh faszinierte, dessen tieferer Sinn mir aber erst sehr viel später aufgehen sollte, schlich ich heimlich hinterher und stöberte in den abgelegten Sachen des Freiers nach der Geldbörse, um ein paar Groschen für den Kaugummiautomaten an der Ecke zu organisieren.
    Ich hielt mich für einen sehr erfolgreichen Börsianer.
    Ich wurde nie erwischt.
    Hätte ich damals geahnt, daß meine Mutter nicht diese Börse meinte, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen.
    Heute ist es zu spät, um noch etwas daran zu ändern.
    Auf meine alten Tage könnte ich mich höchstens noch zum Denkmal umschulen lassen, aber dieser Job wird lausig bezahlt – und ich würde ohnehin für keine Firma arbeiten, die jemand wie mich einstellt. Außerdem habe ich mich inzwischen zu sehr daran gewöhnt, mit den Fingern zu arbeiten. Geschickte Finger sind eine großartige Sache, wenn man sie richtig einzusetzen weiß. Immerhin habe ich es nur ihnen zu verdanken, daß eine so reizende Nervensäge wie Anja Behrens bei mir geblieben ist und ich dieses ganze Desaster mit heiler Haut überstanden habe.
    Was man von einigen anderen nicht sagen kann.
    Und damit meine ich nicht nur die Leiche im Dom.
     
    Das Desaster begann an einem frostigen, diesigen Freitagmorgen im Dezember, kurz nachdem ich allen Diebereien für immer entsagt hatte. Nicht aus Überzeugung, sondern unter Druck – in den vergangenen Monaten hatten auswärtige Profis in Köln abgeräumt, reisende Banden aus Kroatien und Italien, und die Stadt zu einem gefährlichen Pflaster für jeden gemacht, der sich seine Brötchen mit dem Inhalt fremder Taschen verdienen wollte. Empörte Bürger drohten in den Leserbriefspalten der Zeitungen mit Lynchjustiz, die Polizei setzte rund um die Uhr Zivilstreifen ein, und ein halbes Dutzend meiner Kollegen wurde auf frischer Tat ertappt und gnadenlos verknastet.
    So etwas schreckt ab.
    So etwas schafft gute Vorsätze.
    Und gute Vorsätze schaffen Probleme.
    Kaum zum ehrbaren Bürger geworden, erwachte ich ohne einen Pfennig Geld in der Tasche und ohne die blasseste Ahnung, wie ich meine finanziellen Schwierigkeiten auf legale Weise lösen sollte. Die Miete war längst überfällig, Strom mußte ich mir schon von meinem schwulen Nachbarn borgen, und urlaubsreif war ich auch. Irgend etwas mußte geschehen, und am besten sofort. Vage spielte ich mit dem Gedanken, zum Sozialamt zu gehen, bekam aber sofort moralische Bedenken. Schließlich war ich nicht bedürftig, sondern – Gott sei’s geklagt – bloß arbeitsscheu.
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