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Die Tuer im Schott

Die Tuer im Schott

Titel: Die Tuer im Schott
Autoren: John Dickson Carr
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Kapitel 1
    An einem Fenster mit Blick über einen Garten in Kent saß Brian Page, einen Wust von Büchern aufgeschlagen auf dem Schreibtisch, und hatte nicht die geringste Lust zu arbeiten. Die Juli-Spätnachmittagssonne, die durch beide Fenster hereinschien, verwandelte den Fußboden des Zimmers in Gold. Die einschläfernde Hitze entlockte dem alten Holz und den alten Büchern ihre Gerüche. Eine Wespe kam von dem Apfelhain jenseits des Gartens hereingeschwebt, und Page scheuchte sie mit einer matten Bewegung hinaus.
    Jenseits der Gartenmauer, hinter dem Gasthaus Bull and Butcher, schlängelte sich die Straße etwa eine Viertelmeile zwischen Obstbäumen dahin. Sie führte an den Toren zu Farnleigh Close vorbei, dem Herrenhaus, dessen Gewirr von schmalen Schornsteinen Page durch die Baumwipfel sehen konnte, und dann über den Hügel eines Wäldchens mit dem poetischen Namen Hanging Chart.
    Die blassen Grün- und Brauntöne der sanften Landschaft Kents, die nur selten kräftigere Farben kannte, erstrahlten nun im Licht. Page kam es vor, als hätten sogar die Backsteinkamine des Herrenhauses Farbe angenommen. Er hörte, wie Mr.   Nathaniel Burrows’ Wagen die Straße entlangkam, und das Motorgeräusch kam schon aus der Ferne herüber, auch wenn er nicht schnell fuhr.
    Es gab, dachte Brian Page träge, schon beinahe zuviel Aufregung im Dörfchen Mallingford. Und jedem, der diesen Satz absurd fand, konnte er ihn belegen. Erst letzten Sommer war der Mord an der drallen Miss Daly geschehen, erdrosselt von einem Landstreicher, der dann auf dramatische Weise ums Leben gekommen war, als er über die Bahnlinie fliehen wollte. Jetzt, in der letzten Juliwoche, waren zweimal, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, Fremde im Bull and Butcher abgestiegen: einer war Künstler und der andere womöglich – niemand wußte, wie dieses Gerücht aufgekommen war – ein Detektiv.
    Und dann heute das unerklärliche Hin und Her von Pages Freund Nathaniel Burrows, Anwalt in Maidstone. Irgendwie herrschte Unruhe, eine Erregung, auf Farnleigh Close, auch wenn keiner sagen konnte, was es zu bedeuten hatte. Meist ließ Brian Page kurz vor Mittag seine Arbeit liegen und ging hinüber zum Bull and Butcher, wo er sich vor dem Essen ein Glas Bier genehmigte; doch an diesem Vormittag hatte niemand eine Klatschgeschichte zu erzählen gehabt, und das war ein schlechtes Zeichen.
    Gähnend schob Page ein paar Bücher beiseite. Er fragte sich, was auf Farnleigh Close geschehen sein mochte, wo es kaum je eine Aufregung gegeben hatte, seit Inigo Jones es für den ersten Baronet errichtet hatte. Das Haus hatte eine lange Reihe von Farnleighs gesehen, und die Familie hielt sich wacker. Sir John Farnleigh, derzeitiger Baronet von Mallingford und Soane, hatte zu seinen ausgedehnten Ländereien noch ein beträchtliches Vermögen geerbt.
    Page mochte sie beide, den grimmigen, leicht reizbaren John Farnleigh wie auch Molly, seine unkomplizierte Frau. Das Dorfleben war genau das richtige für Farnleigh; er paßte dorthin; er war der perfekte Landedelmann, auch wenn er so lange fernab der Heimat gelebt hatte. Denn Farnleighs Geschichte war eine jener romantischen Erzählungen, für die Page sich immer wieder begeistern konnte, und schien so gar nicht zu dem soliden, beinahe konventionellen Baronet zu passen, der nun auf Farnleigh Close lebte. Vom frühen Exil bis hin zu seiner Heirat mit Molly Sutton vor gut einem Jahr war diese Geschichte (fand Page) nur ein weiterer Beleg dafür, wie aufregend das Leben im Dorfe Mallingford war.
    Page grinste, gähnte noch einmal und griff wieder zur Feder. Die Arbeit rief.
    Ach je.
    Er betrachtete das Pamphlet, das er neben sich liegen hatte. Über den Fortgang seiner  Biographien der Lordrichter von England  – die wissenschaftlich und populär zugleich werden sollten – konnte er nicht klagen. Immerhin war er bereits bei Sir Matthew Hale angelangt. Aber es gab immer Äußerlichkeiten, die einen aufhielten, und Brian Page hatte auch nicht die mindeste Absicht, diesen Äußerlichkeiten den Zugang zu verwehren.
    Im Grunde war sein Ehrgeiz, die  Biographien der Lordrichter  je zu Ende zu bringen, nicht groß, genau wie er auch sein Jurastudium nie zu Ende gebracht hatte. Echte Gelehrtenarbeit war ihm zu anstrengend, doch war er andererseits ein zu unruhiger, intellektueller Geist, um untätig zu sein. Es spielte keine Rolle, ob und wann er mit den Lordrichtern zu Ende kam. Aber er hatte eine Arbeit, zu der er sich stets
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