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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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er die Katastrophe, die ihn gezwungen hatte, England zu verlassen und ein neues Leben oder zumindest den Anfang eines neuen Lebens in Deutschland zu suchen, erwähnt. Er hatte Sverre gegenüber kein Wort über seine früheren Ausschweifungen – eine der vielen verschönernden Umschreibungen – verloren, über seine fröhlichen Tage mit den Bohemiens und Dandys Londons, um bei den verschönernden Umschreibungen zu bleiben.
    Anfangs war es, als wolle er Sverre beziehungsweise ihr enges Verhältnis durch seine Diskretion schützen. Sverre war rein, unbefleckt wie ein Heiliger und der Inbegriff einer Unschuld vom Lande. Nicht im Geringsten tuntenhaft. Sverre war ein Wikinger, muskulös wie eine griechische Statue im British Museum. Sein blauer Blick verströmte ein Flair von salzigem Meer und Fischernetzen, gleichzeitig war er Ingenieur der besten technischen Universität der Welt und eine verträumte Künstlerseele und überdies der am elegantesten gekleidete Mann Dresdens – eine märchenhafte und natürlich unwiderstehliche Kombination von Eigenschaften.
    Anfangs hatte er befürchtet, Sverre durch die leiseste Andeutung, dass es vor ihm schon andere Männer gegeben hatte, abzuschrecken. Je mehr Zeit er hatte verstreichen lassen, desto größer war die Lüge geworden und immer schwerer aus der Welt zu schaffen.
    Dennoch wäre es durchaus möglich gewesen, als ein Anfang von den positiven Seiten zu erzählen. Denn einer der Dandys im Kreise Oscar Wildes zu sein hatte Augenblicke voller Freiheit und Glück bedeutet. Wie damals, als sie alle gemeinsam mit grünen Nelken im Knopfloch verspätet zur Premiere von Lady Windermeres Fächer erschienen waren. Zu jener Zeit liebten alle, die in London etwas auf sich hielten, Oscar. Insbesondere, als er in seiner Dankesrede von der Bühne aus dem Publikum zu seinem guten Geschmack und seinem hervorragenden literarischen Urteilsvermögen gratulierte, da alle im Salon das Stück fast so sehr zu schätzen gewusst hätten wie er selbst. George Bernard Shaw hätte mit einer solchen Rede an sein Publikum einen Skandal hervorgerufen. Aber Oscar befand sich während seiner Rede in einer himmlischen Dimension, schützend eingehüllt in Liebe wie Watte und Seide, der allen um sich herum das Gefühl vermittelte, er sei der Prince of London und damit unverwundbar geworden.
    Nur wenige Jahre später geriet Oscar Wilde in die Tretmühle hinter der Readinger Zuchthausmauer, verurteilt zu zwei Jahren Zwangsarbeit für die »Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt«, die aber in der Sprache der Strafgesetzgebung als besonders unanständige Tat bezeichnet wurde. Diese Katastrophe war an jenem Abend im St. James’s Theatre undenkbar.
    Nachdem das volle Ausmaß des Skandals deutlich geworden war, nach der Verurteilung Wildes, und der Hass auf alles, was er angeblich verkörperte, immer wieder durch die Presse wogte, fand die glückliche Zeit ein so jähes und brutales Ende, dass einem selbst die Erinnerung daran unwirklich vorkam. Plötzlich war es riskant, im Samtjackett mit einer grünen Nelke im Knopfloch ein Restaurant in der Stadt aufzusuchen. Allein glatt rasiert aufzutreten konnte das – oft berechtigte – Misstrauen der Umgebung wecken. Sich positiv über französische Kunst oder Literatur zu äußern, war mittlerweile äußerst unklug, grenzte geradezu an Landesverrat.
    Der Daily Telegraph lieferte voller Ernst die politische Erklärung. Man schrieb, alles wurzele in einer satanischen Konspiration der Franzosen, heimlich unaussprechliche französische Sitten einzuführen, um kurzfristig die Moral der englischen Jugend zu untergraben und somit längerfristig die englische Rasse auszulöschen. Es handele sich also um eine besonders heimtückische und feige Art der Kriegsführung vonseiten des französischen Erzfeindes. Folglich machten sich Oscar Wilde und sein Gefolge sowohl des Verrats an England als auch am britischen Weltreich schuldig. Die Nachwelt würde vermutlich über diese Unüberlegtheiten lachen. Aber wer dem ausgesetzt war, den konnte schon die Panik packen. Albie suchte sie noch jahrelang in seinen Albträumen heim.
    Als die Aufregung in London ihren Höhepunkt erreichte, floh er nach Wiltshire in sein Elternhaus und sah seinen Vater nach acht Monaten zum ersten Mal wieder.
    Dieser saß vertieft in seine Buchhaltung oder ähnlich triviale Dinge in dem kleinen Arbeitszimmer neben der Bibliothek. Er hatte mit einer Szene gerechnet und damit, dass sein Vater ihn
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