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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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1
    London, 1956
    Es dauerte einen Moment, bis sich Lauren Bastions Augen an das schummrige Licht in der Bar gewöhnt hatten, dennoch machte sie ihre Beute unter dem halben Dutzend Gäste mühelos aus. Gebeugt hockte er in der Ecke über einem Drink. Er sah verletzlich aus − genau so mochte sie ihre Männer.
    Lauren richtete sich auf und überzeugte sich davon, dass ihr Dekolleté gut zur Geltung kam. Dann stolzierte sie hüftschwingend auf ihn zu, im vollen Bewusstsein, dass dem Barkeeper die Kinnlade bis zum Fußboden geklappt war.
    »Entschuldigung«, sagte sie in dem Tonfall, der normalerweise jeden Mann aufhorchen ließ, der auch nur etwas heißes Blut in den Adern hatte. »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für allzu forsch, aber Sie sind doch Gareth Forsyth, oder?«
    Sie sah sein Gesicht nur von der Seite, erkannte jedoch gleich, dass er noch attraktiver war als auf dem Bild in der Zeitung. Sein Teint schien ebenmäßig, sein Haar war dicht und gewellt mit leicht ergrauten Schläfen. Für seinen Anzug hatte er wahrscheinlich so viel bezahlt, wie die anderen Gäste der Bar im Jahr verdienten.
    Gareth wurde von einer weniger schmerzhaften Ebene seines Bewusstseins in die Wirklichkeit zurückgezerrt. Zu einem Gespräch in geselligem Beisammensein wollte er jedoch niemanden ermutigen, deshalb löste er den Blick von seinem Whiskey nicht. Londons Schickeria traf sich nicht gerade im Slug and Lettuce, außerdem war der Pub weit genug entfernt von seinem Haus und von seiner Kunstgalerie in Knightsbridge. In den vergangenen Wochen war ihm der schmuddlige Schuppen somit zum Zufluchtsort geworden. Vor allem nachmittags war es ruhig dortund nur spärlich beleuchtet. Am Ende der Bar, wo er immer saß, hatte er sich stets unerkannt gefühlt − bis jetzt.
    In Gedanken war Gareth meilenweit fort gewesen, eingehüllt in die weiche Wolldecke glücklicher Erinnerungen. Es ärgerte ihn, dass er wohl kaum umhinkam zu antworten. »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber im Augenblick ist es in meiner Gesellschaft eher unangenehm.« Er wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.
    »Das verstehe ich«, kam es voller Mitgefühl von dem Menschen, der ihn da störte. »Das verstehe ich voll und ganz.«
    Vergeblich wartete Gareth darauf, Schritte zu hören, die sich entfernten. Vage nahm er einen hypnotisierenden Duft wahr. Als ihm klar wurde, dass man ihn nicht in Ruhe lassen würde, drehte er sich um, wollte sich beschweren – und versank in den Tiefen mittelmeerblauer Augen. Sie gehörten zu einer äußerst attraktiven Frau mit rotblondem Haar, die ihm entfernt bekannt vorkam.
    »Kenne ich Sie?«, fragte er zögernd.
    Er überlegte, ob sie womöglich eine Kundin der Galerie war. Aber dann glitt sein Blick über ihre kurvenreiche Figur in dem Kleid, das zwei Farbnuancen heller war als ihre Augen und vielleicht eine Größe kleiner, als angemessen gewesen wäre. Der Gedanke war absurd. Eine Frau mit dem Gesicht eines Engels und dem Körper einer Göttin hätte er so leicht nicht vergessen.
    »Kennengelernt haben wir uns bisher nicht, leider«, sagte die hübsche Rotblonde und zog einen Schmollmund.
    Gareth schätzte sie auf Ende dreißig. Das hieß, sie war wohl gut zehn Jahre jünger als er.
    »Ich bin Lauren Bastion«, fuhr sie fort. »In der Zeitung las ich vom Tod Ihrer Frau. Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Ich weiß, was solch ein Verlust bedeutet. Ich verstehe Ihren Kummer also nur zu gut.«
    Gareth nickte. »Danke, Miss … oder muss es Mrs. Bastion heißen?«
    »Miss. Im Augenblick befinde ich mich zwischen zwei Ehemännern.« Sie lächelte ohne die Spur eines Bedauerns angesichts solch eines Geständnisses.
    Gareth’ Blick fiel auf ihre langen, schlanken Beine, als sie sich neben ihn auf einen Barhocker setzte. Ihm ging durch den Kopf, dass die Formulierung »zwischen zwei Ehemännern« irgendwie nahelegte, es gäbe weitere.
    »Haben Sie Jane gekannt?«
    »Nicht persönlich, aber in den Häusern zweier meiner Ehemänner hingen ihre Bilder an den Wänden. Und so habe ich irgendwie das Gefühl, als hätte ich sie gekannt.«
    Ihr erster und ihr zweiter Ehemann hatten mehrere Gemälde von Jane Forsyth besessen. Beide hatten bei der Scheidung darauf bestanden, die Bilder zu behalten. Damals hatte ihr das nichts ausgemacht, da sie nicht nach ihrem Geschmack waren, jetzt jedoch erwies sich das als großes Unglück. Der Wert der Bilder war mit dem Tod der Künstlerin immens in die Höhe
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