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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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geklauten Dreirads hatte den kriminalistischen Spürsinn der Spreewälderin Grete geweckt.
    Auch unsere Hopse-Felder waren Herrn Lehmann ein ständiger Dorn im Auge. »Müßt ihr denn immer die janze Straße vollmalen?«
    »Ist das denn auch verboten?«
    »Nee, det nu nicht jrade, aber schön sieht det nu wirklich nich aus. Könnt ihr nich lieber mit eure Murmeln spielen?«
    Auch für die Einhaltung der Mittagsruhe fühlte er sich verantwortlich. Traktierte ich zwischen 13 und 15 Uhr das Klavier, dann klingelte es unweigerlich an der Wohnungstür. »Et is ja nich so, det ick keen Kunstverständnis nich habe, aber et jibt ooch Leute, die wo um diese Zeit schlafen tun, und det ist man ihr jutes Recht.« Mit Frau Lehmann kamen wir besser aus. Sie drückte schon mal ein Auge zu. Außerdem waren wir Kinder angehalten, sie höflich zu behandeln, denn sie half immer bei der großen Wäsche mit. Natürlich gegen angemessene Bezahlung, Mittagessen inklusive.
    Jetzt gab es neben Herrn Lehmann, dem Portjeh, auch noch einen Blockwart. Das war Herr Bentin, der im Nebenhaus wohnte, deutlich sichtbar das Parteiabzeichen trug und sich bemühte, seinem Ideal auch äußerlich zu ähneln. Er ließ sich einen kleinen Schnurrbart Marke Rotzbremse wachsen, verlagerte den bisherigen Mittelscheitel etwas nach rechts und versuchte vergeblich, auch noch die erforderliche Haarsträhne in die Stirn zu kämmen. Das scheiterte allerdings an den stark ausgeprägten Geheimratsecken. Dafür grüßte Herr Bentin sehr zackig mit ›Heil Hitler‹, während wir weiterhin ›Guten Tag‹ sagten. Er kassierte die Mitgliedsbeiträge bei den Parteigenossen und achtete darauf, daß an den vorgeschriebenen Tagen auch ordnungsgemäß geflaggt war. Spätestens um acht Uhr hatten die Fahnen draußenzuhängen, sonst klingelte es an der Tür.
    »Wissen Sie nicht, welches Datum wir heute schreiben?«
    »Doch«, sagte Omi, »den neunten November. Ich weiß das deshalb so genau, weil meine Kusine Geburtstag hat und ich nachher zum Kaffeetrinken fahre. Aber was geht Sie das überhaupt an?«
    »Ihre Kusine interessiert mich nicht«, bellte Herr Bentin. »Das deutsche Volk gedenkt heute des historischen Marsches zur Feldherrnhalle und …«
    »Ach ja, die Fahne. Gut, daß Sie mich erinnern, ich wollte sie schon gestern vom Boden holen.«
    Worauf Herr Bentin einiges nicht sehr Schmeichelhaftes in sein Bärtchen murmelte und wieder abzog. Allerdings behielt er so lange unser Küchenfenster im Auge, bis die Fahne endlich draußenhing.
    Herr Bentin verteilte auch die Lebensmittelkarten, wenigstens in den ersten Monaten, später mußte man sich diese lebenswichtigen Papiere bei den amtlichen Kartenstellen selber abholen. Anfangs waren sie noch sehr zahlreich und verhältnismäßig groß, später schrumpften sie immer mehr zusammen und bestanden schließlich nur noch aus einem Blatt in Briefbogengröße. Da gab es eine rote Karte für Brot, eine blaue für Fleisch, gelb stand für Fett und Käse und grün für entrahmte Frischmilch. Nährmittel konnte man unter Abgaben von rosa Marken kaufen, und Tabakwaren bekam man für die braunen Abschnitte. Soweit ich mich erinnere, gab es für Männer und Frauen gesonderte Raucherkarten, denn ›eine deutsche Frau raucht nicht! ‹ Meine Mutter war demnach keine, denn sie tauschte unsere übriggebliebenen Brotmarken immer gegen Zigaretten ein.
    Dann gab es noch Spinnstoffkarten. Die waren besonders wichtig, weil man ohne sie nicht einmal mehr ein Paar Strümpfe kaufen konnte.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns an den Umgang mit diesen Karten gewöhnt hatten. In der ersten Zeit vergaß Omi sie regelmäßig und kam jedesmal wütend zurückgetrabt, um zunächst einmal die halbe Wohnung auf den Kopf zu stellen. »Wo hab ich nun bloß wieder die Kartentasche hingelegt? Ich weiß ganz genau, daß ich sie gestern noch auf dem Dielentisch gesehen habe. Da hat doch sicher Reni…«
    Reni hatte nicht, denn die Kunststofftasche mit den ziehharmonikaartig auseinanderzufaltenden Fächern fand sich im Kühlschrank, direkt neben der angeschlagenen Zuckerdose, in der das Kleingeld für die Sammelbüchsen aufbewahrt wurde. Irgend jemand kam immer und sammelte für irgendwas.
    Auch an die neuartigen Schaufensterschilder mußten wir uns erst gewöhnen. Da stand zum Beispiel neben einem schlichten Stück Bienenstich der Preis, und daneben war zu lesen: 20 g Z, 10 g Nm. Weil Omi neben der Kartentasche meistens auch ihre Brille mitzunehmen vergaß,
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