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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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mußte ich übersetzen.
    »Der Kuchen kostet vierzig Pfennig, zwanzig Gramm Zucker und zehn Gramm Nährmittel.«
    »Aha. Und was steht neben der Torte?«
    »Dreißig Gramm Zucker, zwanzig Gramm Nährmittel und zwanzig Gramm Fett«, dolmetschte ich.
    »Dann essen wir lieber Knäckebrot mit Marmelade«, entschied Omi, »und überhaupt macht das Einkaufen gar keinen Spaß mehr.«
    Eine weitere amtlich bestellte Person war der Luftschutzwart. Bei uns bekleidete diesen Posten Frieda Seifert. Sie war etwa Mitte Dreißig, trug immer graue Trainingshosen und Kommißstiefel, hatte ein Pferdegebiß und einen ewig kläffenden Foxterrier namens Struppi. Unter ihrer Anleitung übten wir alle vierzehn Tage ›das Verhalten bei Luftangriffen sowie die Bekämpfung derselben‹. So nämlich lautete die Überschrift des hektographierten Rundschreibens, mit dem sämtliche Bewohner der Häuser 168-176 ›zur ersten Unterweisung in der Handhabung von Feuerlöschgeräten‹ befohlen wurden. Mitzubringen seien gefüllte Wassereimer und Spaten. So nicht vorhanden, habe man sich mit anderen geeigneten Werkzeugen zu behelfen. Omi nahm meine Sandschaufel mit, die hatte einen dreißig Zentimeter langen Stiel.
    Schauplatz des Unternehmens war die hinter den Häusern gelegene große Rasenfläche, die unbegreiflicherweise ›Gärtchen‹ genannt und von einem kleinen Weg begrenzt wurde, der zum Müllhaus führte. Dort standen die großen Abfalltonnen, in die wir unsere Mülleimer leerten.
    An dem vorgesehenen Abend fanden sich also weisungsgemäß die Hausbewohner auf der Wiese ein, bildeten Grüppchen und diskutierten über die Sinnlosigkeit der angesetzten Übung.
    »Was soll das Ganze überhaupt?« Frau Hülsner stellte ihren Wassereimer ab und trocknete sich den linken Fuß mit einem Grasbüschel. »Ich bin gerade beim Einwecken und habe eigentlich gar keine Zeit. Lothchen, nimm sofort die Hände aus dem Wasser!«
    Herr Molden rammte einen nagelneuen Spaten in den Rasen. »Gestern extra gekauft. Aber so was kann man ja immer gebrauchen.«
    »Heute früh gab’s bei Otto nicht ein Gramm Zucker. Ob der jetzt auch knapp wird?«
    Herr Zillig kam angetrabt. »Hat die Vorstellung denn noch nicht angefangen! Wenn wir noch lange warten, sind die Tommies da, bevor wir überhaupt wissen, wie ein Feuerlöscher aussieht.«
    »Ach Unsinn«, sagte Herr Molden. »Hermann Göring hat erst kürzlich gesagt, daß er Meier heißen will, wenn auch nur ein feindliches Flugzeug den deutschen Luftraum erreicht.«
    »So? Na, dann sollte er sich aber schleunigst um seine neuen Papiere kümmern.«
    Endlich kam Frieda. Ihr Auftritt entbehrte nicht der erhofften Wirkung, denn Mümmchen fing sofort an zu schreien. »Muttiii! Da kommt der Teufel!«
    Zu den Trainingshosen und den Stiefeln trug Frieda jetzt eine dunkelblaue Gummijacke und eine Art Feuerwehrhelm mit Nackenschutz. Ihr Gesicht war verdeckt durch eine schwarze Maske, die an einen Totenkopf erinnerte und in Höhe des Mundes noch von einer silbrigen, durchlöcherten Scheibe verunziert war.
    Mümmchen brüllte immer noch und beruhigte sich erst, nachdem Frieda die Gummimaske vom Kopf gezerrt hatte. »Das ist eine Gasmaske«, belehrte sie uns. »Nachher werde ich jedem eine aushändigen. Dieselbe hat künftig jederzeit griffbereit zu sein!«
    Dann verteilte sie hellbraune Papiertüten und forderte uns auf, diese mit Sand zu füllen. Wir hatten aber keinen, denn rundherum war Rasen.
    »Da jeht mir aber keener ran«, protestierte Herr Lehmann, »hier is doch keen Buddelplatz.«
    »Luftschutz ist kriegswichtig!« sagte Frieda. »Alles andere hat zurückzustehen.«
    »Aba nich mein Rasen!«
    Bevor die beiden Kontrahenten handgreiflich werden konnten, hatten ein paar entschlossene Männer die Tüten mit Grunewalderde gefüllt. Oben piekten Tannennadeln heraus.
    »Alle Mann hergucken!« befahl Frieda. Dann zog sie eine Handvoll Kiefernzapfen – hierorts Kienäppel genannt – aus der Hosentasche, häufte sie übereinander und entzündete ein kleines Feuerchen. Anschließend ergriff sie eine Sandtüte und hielt sie nach unten über die Flammen. Nach einiger Zeit war dann auch tatsächlich der Rasen durchgebrannt, der Sand fiel erwartungsgemäß heraus und löschte das Feuerchen.
    Das sollten wir nun üben. Bald loderten überall kleine Feuer auf, und wir bemühten uns folgsam, die Tüten vorschriftsmäßig über das Zentrum der Flammen zu halten und sie auf diese Weise wirksam zu bekämpfen. Allerdings glimmte bei manchen
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