Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
Vom Netzwerk:
beeinträchtigt.
    Jetzt stellen sich mir also drei Fragen. Erstens, wo bin ich? Zweitens, wer ist die da? Drittens, was ist geschehen? – und seit wann? Das stumm geschaltete Handy zeigt 29 entgangene Anrufe und acht Nachrichten an. Das ist nicht ungewöhnlich und lässt keinen genauen zeitlichen Rückschluss zu. Könnten sich innerhalb eines halben Tages oder dreier Tage angesammelt haben.
    Wie bin ich nur in diesen Schlamassel geraten? Vertagung der Frage. Aufstehen? Nach sehr kurzer Überlegung tue ich genau das. Als ich mich in eine aufrechte Position zwinge und steifbeinig vor mich hin stakse, gleicht mein Ausatmen einem erschöpften Seufzen.
    Mein erster nüchterner Gedanke kommt angeflogen, während ich mich im Stehen mit hochgereckten Armen ausgiebig strecke und mir nicht die Mühe mache, meine raushängenden Eier wieder in die Unterhose zu stecken: Ja, richtig, ich bin frischgebackener neuer Partner bei Lutz & Wendelen Consulting, weltweit drittgrößte Unternehmensberatung, Nummer eins in Deutschland. Endlich. Die Visitenkarten sind bereits gedruckt, meine neue Bezeichnung lautet Vice President. Daran werde ich mich nicht lange gewöhnen müssen. Eigentlich kann ich mir gar nicht vorstellen, dass es jemals anders gewesen ist. Entsprechend folgt mein zweiter nüchterner Gedanke auf dem Fuße: Ich finde an meiner Beförderung weniger Gefallen, als ich müsste. Denn bedauerlicherweise bin ich unersättlich. Sobald ich ein bestimmtes Ziel erreicht habe, erhöhe ich sofort meine Erwartungen und finde keine Ruhe, bis auch diese erfüllt sind. Was sich dann natürlich als herb enttäuschend herausstellt und nach einer weiteren, noch höheren Wunschsetzung verlangt. Und so fort.
    Die Bettwäsche raschelt. Das Mädchen bewegt sich, rückt einen Arm zurecht. Immer noch wie für ein Foto posierend, das niemand macht. Doch nicht tot. Meine Augenbrauen ziehen sich automatisch nach oben. Sacht bewege ich mich auf meine verkrumpelt in einer Ecke liegende Anzughose zu. Ich greife danach. Ein Bein angewinkelt in die Höhe haltend, ringe ich mit dem Hosenbein, stoße schließlich zur Hälfte mit dem Fuß durch. Plötzliche beträchtliche Gleichgewichtsschwankungen zwingen mich, in dieser grotesken Stellung zu verharren, auf einem Bein zu hüpfen und einen Zappeltanz zu veranstalten, der mich aussehen lassen dürfte wie einen einbeinigen Kriegsveteranen, dem man die Krücken versteckt hat. Mit jedem Sprung senkt sich die hochgereckte Sohle, und ich erwarte, augenblicklich festen Boden unter ihr zu spüren und meine Statik wiederherzustellen. Wie sich jedoch herausstellt, hat die glatte Estrichflächeandere Pläne. Eben noch springe ich umher. Und einen Moment später befinde ich mich auf meinem Hintern und spüre den harten, kalten Beton unter den Pobacken. Blöd schauend, peinlich berührt und etwas schmerzverzerrt, vergewissere ich mich sogleich, ob die Nymphe durch meinen Crash aufgescheucht wurde. Immer noch nicht. Obwohl ich nicht sehr laut war, hätte der Krawall doch ausreichen müssen, sie zu wecken. Da ist was oberfaul. Ihre künstliche Leichenstarre könnte also sehr wahrscheinlich heißen: Der Gast soll bitte keine Spuren hinterlassen und möglichst bald verschwinden. Einverstanden.
    Ich hieve mich wieder auf die Füße. Die Welt taumelt ein bisschen. Während ich meinen Bauch einziehe, um den obersten Knopf der Hose zuzumachen, schaue ich dauernd zu dem Mädchen. Mit so einem zunehmend debiler werdenden Dauerbeobachtungsblick. Was wird sie sein? 19? 18? 17? 16? Menschen sehen heutzutage nicht mehr ihrem Alter gemäß aus. Und die Antwort spielt im Grunde keine Rolle.
    Ich ziehe die Socken über und stopfe meine Fersen in die dunkelbraunen Schuhe. Beim Bücken komme ich beinahe wieder ins Straucheln. Als ich meinen Gürtel zudrücke, die Schnalle im zweiten Loch von vorne arretiere, atme ich das schwere Parfum der Gazelle ein und fühle mich auf einmal entsetzlich einsam. In meiner Brust gefriert etwas zu Eis. Ich erinnere mich an
nichts,
aber es sieht ganz danach aus, als ob mit der da was lief. Aber was? Nicht besonders viel, nehme ich an. Sie hat gar keine blauen Flecken. Vielleicht war ich nicht in Form. Ich hab’s einfach nicht so mit jungen Mädchen.
    Ich sehe sie an, als erwarte ich einen Einwand. Und verabscheue mich ein bisschen mehr als üblich.
    Mit den Fingern kämme ich mir die Haare, hole zwei Flusen aus meinem Nabel, und während ich wie auf Stelzen zur Tür schleiche, stülpe ich mir unordentlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher