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Das Reisebureau Thompson und Comp.

Das Reisebureau Thompson und Comp.

Titel: Das Reisebureau Thompson und Comp.
Autoren: Michel Verne
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Erster Band.

Erstes Kapitel.
Im Platzregen.
    Mit gespreizten Beinen und traumverlornem Blicke stand Robert Morgan unbeweglich schon fünf Minuten vor der langen, düstern, über und über mit Plakaten bedeckten Mauer, die eine der traurigsten Straßen Londons begrenzte.
    Der Regen fiel in Strömen hernieder. Einem hurtigen Bache gleich floß das die Trottoirkante überspülende Wasser dahin und benetzte heimtückisch die Füße des Träumers, dessen Kopf übrigens ebensowenig gegen das himmlische Naß geschützt war.
    Wie in Gedanken an irgendeine weite Reise versunken, hatte seine Hand den Regenschirm langsam herabgleiten lassen, und das Wasser rieselte hier und da von dem Hute des jungen Mannes auf die zu einem Schwamme verwandelte Kleidung hinunter und floß endlich in den gurgelnden Straßenbach ab.
    Robert Morgan beachtete diese Tücke der Umstände nicht im mindesten; er fühlte nichts von der eisigen Dusche, die seine Schultern traf. Vergeblich blickte er nur zuweilen auf seine Halbstiefel nieder, sah dabei aber – so stark war er von seinen Gedanken eingenommen – nicht, daß sie schon fast zu zwei Klippen wurden, gegen die der zornige Bach mit feuchten Schlägen anstürmte.
    Seine ganze Aufmerksamkeit war nur auf eine geheimnisvolle Arbeit gerichtet, die seine linke Hand ausführte. In der Hosentasche verborgen, bewegte und schüttelte diese Hand einige kleinere Münzen hin und her, ließ sie jetzt klimpernd fallen und nahm sie dann wieder auf. Dreiunddreißig Francs und fünfundvierzig Centimes betrug dieses gesamte Vermögen, wovon sich dessen Besitzer früher bei wiederholtem Durchzählen überzeugt hatte.
    Ein geborner Franzose und vor sechs Monaten in London gestrandet – er war von grausamem Mißgeschick hartnäckig verfolgt gewesen – hatte Robert Morgan an diesem Morgen auch seine hiesige Stellung, die eines Sprachlehrers, mit der er sein Leben fristete, plötzlich verloren. Da war er nach schneller… ach, gar zu schnell beendeter Revision seiner Kasse ausgegangen, ohne klares Ziel dahingewandert durch die Straßen, nur immer auf der Suche nach einem rettenden Gedanken, bis er unwillkürlich an der Stelle stehen geblieben war, wo wir ihn gefunden haben.
    Was sollte er allein, ohne Freunde oder Gönner, mit wenig über dreiunddreißig Francs im Vermögen in der Riesenstadt London anfangen?
    Eine brennende und recht schwierige Frage, so schwierig, daß der junge Mann sie noch immer nicht gelöst hatte und schon überhaupt an ihrer Lösung zu verzweifeln anfing.
    Seiner äußern Erscheinung nach war Robert Morgan freilich nicht der Mann, sogleich den Mut sinken zu lassen.
    Mit seinem tadellosen Teint, der glatten, klaren Stirn, die von üppigen, kastanienbraunen und militärisch zugeschnittenen Haaren begrenzt war, mit dem langen gallischen Schnurrbarte, der einen feingeschnittenen Mund von einer musterhaft gebogenen Nase trennte, bildete er in jeder Hinsicht eine wirklich hübsche Erscheinung. Noch mehr: er war auch ein guter, ehrlicher Charakter; man sah es schon an seinen tiefblauen Augen, deren Blick höchstens etwas zu sanft erschien, daß er nur einen Weg, nur den kürzesten, kannte.
    Im übrigen strafte er nicht Lügen, was sein Gesicht versprach. Breite, wohlgeformte Schultern, eine mächtige Brust, muskulöse Glieder, abgerundete Bewegungen, feine und gut gepflegte Füße… alles verriet einen aristokratischen Athleten, dessen durch Sportsübungen gestählter Körper Geschmeidigkeit und Kraft in gleichem Maße vereinigt.
    Wer ihn sah, der dachte gewiß: »Ein hübscher Bursche, ein hübscher und auch guter Bursche!«
    Daß Morgan nicht zu denen gehörte, die sich durch einen plumpen Schicksalsschlag verblüffen lassen, das hatte er schon bewiesen und würde es, immer zur Abwehr bereit und des Sieges würdig, jedenfalls auch ferner beweisen. Immerhin sind solche Zusammenstöße mit dem Schicksal, wie er eben einen erfahren hatte, ja stets etwas brutal, und auch dem besten Reiter ist es zu verzeihen, wenn er dabei einen Augenblick die Steigbügel verliert. Morgan hatte also – um in diesem der Reitkunst entlehnten Bilde zu bleiben – jetzt den Sitz ein wenig verloren, er bemühte sich jedoch schon, ihn wiederzufinden, wenn er auch nicht gleich wußte, was er tun sollte.
    Als sich ihm diese Frage zum hundertsten Male erfolglos aufdrängte, erhob er die Augen zum Himmel, als hoffte er dort eine Antwort darauf lesen zu können. Er sah aber weiter nichts als Regen und entdeckte, daß er mit
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