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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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auch nicht lebenslänglich auf einen Urlaubsort festgelegt wäre. Ärger, Sorgen und Verantwortung mal ganz außen vor gelassen. Auch hier geht es wieder mal um die Idee, nicht um Tatsachen. Aber wie soll jemand so etwas verstehen, der gleich darauf diesen Klischeekrampf aller Klischeekrämpfe absondert: »Es ist auch, weil, … ich meine, finden Sie nicht auch, die Deutschen sind so steif. Im Süden sind die Menschen viel netter und lockerer. Bei uns ist alles so eng und spießig.« Man kann es nicht mit anhören. Und ich denke mir, gerade du musst so was sagen, ja,dann hau doch ab, mal sehen, wie du reagierst, wenn dich die ganzen öligen, korrupten, unzuverlässigen Itaker-Chaoten schön auflaufen lassen und du nach einem Jahr immer noch keine Antwort vom römischen Einwohnermeldeamt oder vom Heizungsinstallateur bekommen hast und an diverse Spaghettifresser unzählige Euro Schmiergeld abdrücken durftest. Dann definieren wir noch mal den Begriff »spießig«, du Spießer. Die Weichbirnen in diesem Land schreiben offenbar alle voneinander ab. Wie oft habe ich das schon gehört, diesen hanebüchenen Woanders-ist-alles-besser-Müll. Immer nur von ultra angepassten Schwachmaten, denen es an jeglicher Originalität fehlt, die eigentlich scheiß Nazis sind, mit Ausländern in Infinitiven sprechen und die nach spätestens vier Wochen ernsthafter Landflucht heulend nach Hause zurückgerannt kämen. Was für Träume und Wünsche hinter den Nichtdenkerstirnen dieser Leute schlummern! Ich verstehe das nicht.
    Ich beschränke mich darauf, nur noch Geräusche als Antworten von mir zu geben. In meinem Kopf arbeitet es parallel die ganze Zeit. Was ist mit mir die letzten beiden Tage passiert? Meine Beunruhigung umgibt mich wie ein Dauerrauschen.
    Die aktuelle Maschine für dieses Gate ist laut Durchsage bereit zum Einsteigen. Aber mein Oralmediziner ist in redseliger Laune, bleibt noch sitzen, bis zuletzt. Durch ein Klingeln in meinen Ohren höre ich ihn fragen: »Aber wissen Sie, was ich wirklich gerne hätte?«
    Ein Hirn? »Nein. Was denn?«
    »Zeit!«
    Ich bin überwältigt von seinem philosophischen Turn. Ich lache. Eigentlich ihn aus, aber ich kriege die Kurve und lasse es wie eine sentimentale Beipflichtung durch meine Lippen strömen.
    »Zeit! Das ist doch das Wertvollste überhaupt, finden Sienicht?« Das sind seine Worte. Das Wertvollste überhaupt, was immer das heißen mag. Ich denke mir: Wirf dein Leben weg, und du hast nichts verloren. Aber ich begreife schnell, dass er seinen Käse als gewichtiges Schlusswort betrachtet und aufsteht. Er reicht mir die Hand, und als ob das noch nicht genug wäre, salbadert er, mit bohrenden Augen: »Grüßen Sie Ihren Sohn unbekannterweise recht herzlich von mir. Fynn heißt er, richtig?«
    Und mit der Erwähnung von Fynns Namen ist bei mir Schluss mit lustig. Ihn zu nennen, steht diesem Typen nicht zu. Dazu hat er kein Recht. Auch ohne böse Absicht. Ein Sakrileg. Ganz im Ernst. Fynn ist tabu, für diesen Zipfel aus dem Tal der Ahnungslosen. Ich fühle mich plötzlich von jeder Rücksichtnahme befreit. Unterdrücke das Gefühl sich anbahnenden, besinnungslosen Hasses jedoch sofort und glaube mit einem Mal, den wahren Sinn von Manieren, Anstand und Heuchelei zu begreifen. Tugenden, die mir schon ziemlich früh eingebläut wurden. Einzig der Mäßigung darf man uneingeschränkt frönen, hat Pater Cornelius immer gesagt. Ich stehe zum Händeschütteln sogar auf, lasse einen kräftigen, gesunden Händedruck einwirken. Sage ernst, aber ruhig: »Hat mich gefreut. – Ja, ich muss noch eine weitere Maschine abwarten, nicht schlimm. – Auf Wiedersehen. Und guten Flug.« Dr. Karies nickt und macht sich forsch auf den Weg zum Boardingschalter. Irgendwann kommt für alles der letzte Augenblick.
    Die »Financial Times« hat sich inzwischen jemand anderes unbemerkt gekrallt. Ich setze mich wieder.
    Das Gespräch hat mir überhaupt nicht gutgetan.
    Und, ich muss noch
zwei
weitere Maschinen abwarten. Schrecklich.

04
    X Stunden später, zu viele, um sie aufzuzählen, lande ich in der richtigen Stadt. Mit wetterbedingter Verspätung von drei Stunden. Das hat mir gerade noch gefehlt. Als Flug LH852 aus Düsseldorf in München aufsetzt, fällt feiner Schnee. Wir haben kurz nach 22 Uhr, stockdunkel draußen. Möchte noch ins Büro. Noch mal Taxi. Pro Jahr produziere ich über 300 Taxiquittungen, die ich auf meiner Spesenliste abrechne.
    Ich weise den Fahrer (E-Mensch) an, zuerst noch eine
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