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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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Arschloch und seinem kurzgetrimmten Bart zu unterhalten.
    »Ich selbst habe drei Söhne. Fünf, neun und vierzehn«, fährt der aufdringliche C-Mensch fort, der sich zwei Minuten später als Zahnarzt aus Grünwald vorstellt. Es gibt mir seit jeher Rätsel auf, dass es ein derart hohes soziales Ansehen genießt, anderen ganztätig im Mund rumzustochern. Ich verstehe das nicht.
    Dr. dent. schildert mir deplaciert selbstbewusst seine familiären Verhältnisse, obwohl ich kein sonderliches Interesse zeige. Er schnallt es nicht. Er nimmt unseren ähnlichen Dresscode anscheinend tatsächlich zum Anlass, uns beide irgendwie auf derselben Ebene zu verorten. Aber es ist so gut wie sicher, dass er sein Studium nicht mit Summa cum laude abgeschlossen hat. So wie ich. Es ist so gut wie sicher, dass er nicht erst mal zusehen musste, ein Stipendium zu bekommen, um sich eine akademische Laufbahn überhaupt leisten zu können. So wie ich. Denn gemäß den Verhältnissen, aus denen ich stamme, hätte ich mir eine solche Ausbildung ganz einfach nicht leisten können. Ich wette, der Zahnklempner war nicht deutschlandweit jahrgangsbester Uniabgänger. So wie ich. Vermutlichhabe ich mehr vergessen, als er je lernen wird. Wie es ihm auch scheinen mag, wir haben nichts gemeinsam. Aber das glaubt er. Er solidarisiert sich auf die Art, die ich gar nicht mag, indem er manche seiner zunehmend ausufernden Sätze mit »Sie wissen ja selbst, wie das ist« beendet. Das ist nicht auszuhalten. Dieser Pseudo-Miteinbezug meiner Person. Welch gnädige Zubilligung! Ich komme mir vor wie sein netter Zeitvertreib. Sein After-Shave-Geruch ist unerträglich. Hatte heute wohl was Besonderes vor, wenn er sich so damit überschüttet. Auf der Piste hebt ein weiterer Flieger ab und durchschneidet die Luft, und ich spähe verstohlen abwechselnd zu der einsamen Zeitung auf dem Stuhl und dem Nachrichtenbildschirm, über den die immer gleichen Weltnews in Endlosschleife ohne Ton flimmern, während mein Zahnbohrer vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Ihm steht der Sinn nach ratschen, und er hat mich als Zielobjekt auserkoren. Worauf ich mir nichts einbilden sollte. Er ist einer der Menschen, die die Gabe besitzen, sich mit jedem beliebigen Fremden unterhalten zu können und total locker dieses Gefühl von Affinität und Beziehung herzustellen, obwohl sie wissen, dass man sich nach diesem Gespräch nie wiedersehen wird.
    Seinen Ausführungen entnehme ich, dass die Zahnbranche blüht. Und als er mich nach meinem Job fragt, bringe ich das Thema mit meiner eigenen Masche schnell wieder auf ihn zurück, weil es im Allgemeinen so ist, dass ich von einer Sache umso weniger spreche, je mehr sie mich interessiert. Ich neige dazu, meine berufliche Tätigkeit als etwas anzusehen, das in meinem Leben einen gesonderten Platz einnimmt und auf keinen anderen Bereich übergreifen soll.
    Er schwafelt dankbar weiter und sagt so was wie, er wolle »künftig vermehrt die Welt bereisen … Fremde Kulturen kennenlernen … Vor allem Asien … Japan, Korea, China … So spannend alles …«. Etwas in der Art. Wenig Inspirierendes. Inprofessioneller Nullkonversation geübt, erzähle ich ihm, einfach, damit ich was erzähle, wie sagenhaft toll Hongkong ist. Ich war nie dort. Empfehle ihm, es unbedingt mal zu bereisen. Wunderschön, ehrlich. Muss man gesehen haben. Ich überlege mir, Fakten dürften einen wie ihn sowieso nicht interessieren. Ihm geht’s um die Idee von Asien, das Ideal der Ferne. Nicht um hundefressende Schlitzaugen, rassistische Kleinwüchsige, frauenunterdrückende gelbhäutige Prolls. Ja, ja, die mir schwer begreifliche Romantisierung von Reisezielen und fremden Kulturen. Da stört die rationale Auseinandersetzung mit fremden Sozialisationen doch erheblich. Mir kommt in den Sinn, dass ich immer denselben Kopf aufhabe, egal, wohin ich reise.
    Mein ungebetener Gesprächspartner berichtet davon, sich auf Immobiliensuche zu befinden. Er träumt von einem eigenen Ferienhäuschen im Süden. Irgendwo in Italien, wo’s schön und warm ist, schwärmt er und krault seinen Bart.
    Donnerwetter. Das ist in meinen Augen die beste Unterhaltung aller Zeiten. Und ich bin dabei. Wer kann das schon von sich behaupten!
    Ich signalisiere ihm vollste Nachvollziehbarkeit seines Plans und kann mir nichts Idiotischeres vorstellen. Ich sage ihm nicht, dass er für die Kohle, die so ein Haus im Ausland in Anschaffung und Unterhalt kostet, ewig in einem Fünf-Sterne-Hotel wohnen könnte und dann
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