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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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Privatadresse in Schwabing anzufahren. Die Wohnung eines befreundeten Chefarztes (B-Mensch), mit dem ich mich vorhin telefonisch verabredet habe. Ich brauche Tablettennachschub. Mein Insidon-Vorrat neigt sich dem Ende zu. Meine ganzen Psychopharmaka beziehe ich über ihn und zahle immer aus eigener Kasse. So stelle ich sicher, dass mein Konsum nicht bei meiner Krankenversicherung aktenkundig wird. Man weiß nie. Eine Enthüllung meiner Gewohnheiten und Gepflogenheiten könnte ich nicht brauchen. Nicht nur, was meine Medikation betrifft.
    Die Übergabe klappt wie stets reibungslos und wird im Flur abgewickelt, die Kinder schlafen schon, und seine Frau (B bis C-Mensch) mag diese konspirativen Besuche nicht. Dabei kauft sie sich vom Gewinn sicher schönes unnützes Zeug. Ich verabschiede mich. Und noch auf dem Weg von der Wohnung zurück zum wartenden, warnblinkenden Taxi ziehe ich einen flachen Streifen aus der Packung, drücke zwei kleine Tabletten in die Handfläche und schlucke die runden Dinger, die meine Depressionsschübe, meine Stimmungsschwankungen und die Stimmen, die ich höre, seit zwölf Jahren in Schach halten, mit gesammelter Spucke runter.
    Der Langzeitverträglichkeit wegen wechsle ich meine Präparate alle sechs Monate aus. Es besteht für mich keinZweifel daran, dass ich ein ernsthaftes Narkotikaproblem habe.
    Mit knarziger Stimme weise ich den Fahrer an, mich ins Büro zu fahren. Er ist ein älterer junger Mann, ewige Mitte zwanzig, also Anfang dreißig, der die für sein Alter erwarteten beruflichen Fortschritte nicht vorweisen kann und noch in zehn Jahren fest glauben wird, nur übergangsweise Kunden durch die Nacht zu kutschieren. Tagsüber versucht er sich schätzungsweise als Videogame-Entwickler, in Webdesign oder als Redakteur für gratis-online-Portale. Vorerst noch für lau, Vorleistung, alles braucht Zeit, der große Durchbruch kommt schon noch. Und sobald sich da was tut, kann er auch für die unehelichen Kinder zahlen, die zu bekommen er sich natürlich entschieden hat, er findet es nämlich wichtig, »dazu zu stehen«, so wie er ja auch »bereit ist, Verantwortung zu übernehmen«. Die trostlose Version des modernen, entmännlichten Mannes im neuen Jahrtausend eben. Die Deppen, die auch ständig »nicht wirklich« anstatt nein sagen und »weißt, wie ich mein?« anstatt gar nichts.
    Der Schnee fällt in pappigen Schlieren gegen die Wagenfenster. Entgegen weitverbreiteten Mythen bringen sich in kalten Monaten weit weniger Leute um als in warmen. Laut Selbstmordstatistik.
    Die Tabletten setzen ein und entschärfen mein paranoides Delirium, meinen Taumel rund um die Frage, was in den fehlenden Stunden bloß mit mir geschehen sein mag.
    Der ewige Verlierer am Steuer lenkt den Wagen auf nassen Straßen durch die City Richtung Norden, vorbei an der Universität, die am symbolträchtigen Geschwister-Scholl-Platz liegt. Diese Adresse fällt mir deshalb auf, weil ich immer, wenn ich hier entlangkomme, eben an diese Geschwister Scholl und ihr Unternehmen »Weiße Rose« denken muss. Die berühmte Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Sehr löblich.Sie genießen Heldenstatus. Was man mir jedoch mal erläutern muss. Sie haben nämlich nichts erreicht. Die beiden ließen sich unter peinlichen Umständen bei einer ihrer Flugblattverteilungs-Aktionen erwischen und haben NICHTS bewirkt. Das Dritte Reich nahm durch ihre Existenz und stümperhaften Handlungen keinerlei Schaden.
    Wenn folglich lediglich die gute Absicht zählt, dann besteht für mich dringender Erklärungsbedarf.
    Würde ich mir vornehmen, die Taliban auszurotten, ihr Hauptquartier ausfindig machen und ins Zimmerfenster des Oberbefehlshabers rufen: »Du, du, du, böse, böse, böse. Nicht mit Terror weitermachen, gell!«, und meiner mündlichen Verwarnung wagemutig einen Stoffteddybären hinterherwerfen, wäre ich dann auch reif für die internationalen Geschichtsbücher? Wäre ich dann bewunderungswürdig? Allein der hehre Vorsatz zählt? Des Ergebnisses ungeachtet? Echt? Echt, ich verstehe das nicht.
    Ich spiele mit der Tablettenschachtel in meinen Händen herum, drehe sie um ihre Achse, stecke sie ein. Der Geschwister-Scholl-Platz zieht an uns vorbei. Und noch etliche andere Gebäude. Ein paar Minuten lang. Dann hält das Taxi. Da wären wir. Noch eine Quittung mehr.

05
    Es ist Mitternacht, und ich sitze in meinem Büro im 21. Stockwerk des VelCo Office Towers. Das ganze Gebäude wird von Lutz & Wendelen gemietet. Es ist das
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