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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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Hauptquartier, die Schaltzentrale sämtlicher weltweiten Niederlassungen. Über 2 400 Mitarbeiter zählt das Unternehmen. Trotz später Stunde möchte ich wenigstens die Post und meine Mails, die sich seit Montag angehäuft haben, bearbeiten. Nicht umsonst bin ich,wo ich bin. Aber ich bin nicht der Einzige, der noch hier ist. Beim Hereinkommen habe ich gesehen, dass bei zahlreichen Kollegen Licht brennt. Überstunden sind hier an der Tagesordnung. Hier kommt nur durch, wer bereit ist, sich zum Wohl der Firma alles abzuverlangen. Grundvoraussetzung Nummer eins. Auch nach vierzehn Stunden einen hohen Energielevel beizubehalten ist hier jedem in Fleisch und Blut übergegangen. Schlafentzug wird zum Kick, Erschöpfung zum kräfteverleihenden High. Die Sogwirkung kollektiver Erfolgsgier.
    Ich brauche eine Dusche. Mich juckt es überall. Während ich auf meinem Apple eine Datensicherungskopie anfertige, die einige Sekunden in Anspruch nehmen wird, dribble ich mit den Beinen, drehe damit meinen Stuhl in die entgegengesetzte Richtung und starre durch die komplett spiegelverglaste Wand nach draußen. Von hier aus habe ich einen Blick auf die nächtliche Stadt, der mich manchmal beflügelt und manchmal schwermütig macht. Einen Kilometer Luftlinie entfernt pulsen zwei Signallampen auf der Spitze des Olympiaturms stoßweise ihr rotes Licht in die Dunkelheit, in einem Rhythmus, der sicherlich irgendeinen Sinn ergibt. Wenn ich meinen Blick steil senke, blicke ich auf eine sechsspurige Schnellstraße, die sich durch eine lange Häuserschlucht zieht. Wie auf diesen lang belichteten Fotos, ziehen die Rückleuchten der Autos verschwommene Lichtschlieren hinter sich her.
    Ich linse über die Schulter auf den Bildschirm, um den Status des Back-Up-Vorgangs zu ersehen. Zur Hälfte fertig. Meine Augen bleiben auf dem in meine handgefertigte Kalbslederschreibunterlage eingestanzten L & W-Logo hängen.
    Noch während meines Studiums entschied ich mich, zu Lutz & Wendelen zu gehen. Bereits ein Jahr vor Abschluss wurde ich von vielen Managementberaterfirmen umworben, gelockt mit Zusicherungen wie imposantem Einstiegsgehalt,attraktiven Kundenportfolios und rasanten Aufstiegschancen. Aber das Angebot von L & W war konkurrenzlos, unablehnbar. Sofort nach meinem Examen fing ich hier an. Meine anschließende zweijährige Promotion absolvierte ich dann nebenher, als ich bereits voll im Einsatz für die Firma war. Einige Jahre ist das inzwischen her. Und nichts hat sich geändert. Nach wie vor will ich nach ganz oben. Koste es, was es wolle. Nein, rein gar nichts, nichts hat sich geändert. Mehr noch, ich habe festgestellt, das Ganze spitzt sich zu, je höher ich komme. Ich glaube, dass Menschen ohne diesen inneren Antrieb ein besseres Leben führen.
    Eine puertoricanische Putzfrau (G-Mensch) kommt unvermittelt zur Tür herein. Ich erschrecke nicht wenig. So spät noch! Hatte wohl selbst verschobenen Arbeitsbeginn. Ihre langen schwarzen Haare glänzen wie gelackt. Ich gebe ihr »Jetzt bitte nicht« zu verstehen. Sie antwortet etwas scheinbar Humorvolles, das ich nicht kapiere. Nach nur zwanzig Jahren Deutschland wäre es vielleicht tatsächlich etwas zu viel von ihr verlangt, der Landessprache rudimentär mächtig zu sein. Sie brüllt beinah vor Amüsement über ihre kryptische Bemerkung und leert trotzdem meinen leeren Mülleimer aus. Ihr Geruch ist auch nicht besonders. Gacker, gacker. Sie steht so rangniedrig, dass sie sich ein vollkommen freies Lachen leisten kann. Wakwakwak. Es ist kein schönes Lachen, aber dafür sind Naturvölker ja auch nie bekannt gewesen. Ich schaue die ganze Zeit wohlwollend drein, mit verhaltenem Gesichtsausdruck. Eine Rolle, die mir nicht besonders gut steht. Sie geht. Immer noch unbedarft blöckend.
    Back-Up-Balken bei Dreiviertel – ich sehe wieder raus.
    Zahlreiche Bürotürme ragen in direkter Verlängerung meiner Blickrichtung majestätisch und verschwörerisch zugleich empor. Nach und nach wächst die Stadt mit Hochhäusern zu. Jedes für sich, ein zwielichtiges Versprechen. Gut so.
    Ein Pling kündet vom Abschluss der Datensicherung. Ich wende mich von der Aussicht auf die dunkle Gebäudesilhouette ab und lasse meine Finger wieder über die Computertastatur fliegen.
    In den Jahren, die ich hier bin, habe ich es in meiner Karriere ziemlich weit gebracht. Aber mein Drang nach Größerem konkurriert andauernd mit der tief in mir verwurzelten Furcht, die erworbenen Sonderrechte und Privilegien könnten jeden
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