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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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tief in sich hineinhorchen«, was mich immer dazu veranlasst, in meinem Kopf »Horch, was kommt von draußen rein« anzustimmen, und mich daran erinnert, wie ich Patricks Schädel zertreten habe, mit Hunderten Fußtritten auf seinen Kopf gestampft bin, klick klack, und seine Hirnmasse an den Wänden der Jungentoilette verschmiert habe und auf seinem Torso rumgesprungen bin, heißa, was für ein Spaß, Dr. Müller nickt zudem sehr häufig auf geübte Weise, was mich manchmal für ein paar Sekunden aus dem Konzept bringt, was mir manchmal beinahe Vertrauen einflößt, was ich manchmal als Zeichen geistigen Abschaltens deute, was mir aber immer klar macht, meine ganze ureigene Geschichte ist lediglich eine weitere Version der immer gleichen uralten Geschichte, reines Gewäsch, alles wird vergebens gewesen sein, so, wie es bei allen anderen davor auch war, bei Fynn und allen anderen. Ich höre die Stimme, ich schiebe sie beiseite, das Behandlungszimmer von Dr. Müller übrigens: eine Orgie in Brauntönen, er gedenkt mirhier dauernd was unterzuschieben, in die Kerbe mit Schuldgefühl und Schuldkomplex und so zu schlagen, aber da schlägt er daneben, ich lenke da immer ab, gehe gar nicht drauf ein, langweilig, und damit basta, unter meiner Kopfhaut sticht es, womöglich ist er ja auch mein Fürsprecher, kann man nie wissen, er sieht mich vertrauensvoll an, man sollte ihm einen Preis verleihen, aber so dämlich bin ich nicht, er agiert strategisch, wie konnte ich nur einen Moment etwas anderes denken, nicht weich werden, nicht vom Standpunkt ausgehen, Dinge seien so, wie man sie gern hätte, nur Dumme glauben, was sie glauben wollen, ja-ha, jeder ist der Feind, nicht mit mir, Sportsfreund. Ich murmle mein Mantra mit geschlossenem Mund und zusammengebissenen Zähnen: Sprache ist Lüge, Sprache ist Lüge, haha, das Gespräch geht so dahin, und es ist manchmal ein Stechen und Parieren auf beiden Seiten, er ist mir so was von unterlegen, das kann man gar nicht genug betonen. Schließlich schaffe ich es, ihn mit einer zugegeben extremen Gewaltphantasie wirklich zu schockieren, und zwar so richtig, er ist etwa eine Minute perplex (und ergeht sich mit dem Glattstreichen seiner Hose in einer läppischen Ersatzhandlung), was mich leider nicht in den erhofften narzisstischen Rauschzustand versetzt, und eigentlich ist am Ende das einzige aufrichtige Statement, das er mir entlocken könnte, das, dass ich mich in der Sauna immer ganz unten hinsetze, wo es am kühlsten ist.
    Mir ist wirklich nicht zu helfen.
    Und Patricks zermanschtem Kopf auch nicht.
    Haha hoho hihi haha hoho hihi – hahaaaaah.
    Menschen mit solch sezierenden Gedanken, Menschen wie ich sind von allem ausgeschlossen. Man möchte gern an etwas glauben, kann aber nicht. Man möchte gern ein gewöhnliches Leben führen, durchschaut es aber, obwohl man gar nicht will. Man bleibt, wer man ist.
    Und während ich meine verschleiernden Schilderungen derschönsten Dramen aus meiner Jugend von mir gebe und die Wahrheit dehne und strecke, dieses aufbausche und jenes verharmlose, nur damit mir nicht zu langweilig wird, drehe ich mich in dem schwarzen Sessel hin und her.
    Aus mir kriegst du nichts raus. Ich halte dicht.
    Wozu es auch jetzt noch gut sein mag. Jetzt, wo nichts mehr ist wie zuvor. Weil »keine Tat ohne Konsequenzen bleibt«, wie ein anderer Großgelehrter, der Großgelehrte und Allwissende Pater Cornelius, so schön sagte. Potz Blitz, da hat er schon wieder recht gehabt. Ich knabbere an meiner inneren, blutenden Unterlippe und tippe dabei mit den Fingerkuppen auf die Armlehne. Gleich ist die Zeit rum. Dr. Müller schielt schon auf die Uhr. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
    Das hier ist eine Farce. Er – oder sonst wer, niemand kann dich ändern. Im besten Fall schafft ein Therapeut es, dass du akzeptierst, dass dich niemand ändern kann. Da ich diese Weisheit bereits längst verinnerlich habe, belasse ich es bei meiner Strategie. Und bin alles, nur nicht ich selbst. Er möchte doch nur in sein Gutachten schreiben, dass ich sie nicht mehr alle habe. Dass ich verrückt bin.
    Er sagt, das wär’s für heute. Steht auf. Klingelt nach den Beamten.
    Ja. Ich habe auch genug für heute.
    »Wir sehen uns morgen, Dr. Peng, selbe Zeit.«
    »Ja, bis morgen, Dr. Müller.«
    Das wäre geklärt.
    »Eine Frage noch, Herr Dr. Müller: Ich bin ja in letzter Zeit so abgeschottet, wie wird eigentlich das Wetter die kommenden Tage?«

56
    Jetzt wird’s doch glatt
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