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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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mich daran, dass ich mal geglaubt habe, ich würde nicht für immer traurig sein. Ich lag falsch.
    Das Taxi entlässt mich, ich habe mich nicht ins Krankenhaus fahren lassen. Sondern ins Heim. Niemand öffnet auf mein Klingeln, also rufe ich Weber an, der noch in seinem Büro sitzt und auf mich wartet. Ich sage, ich wäre jetzt da, stünde vor der Tür. Er antwortet, die Klingel hätte er nicht gehört, er komme. Als er mir öffnet, verwerfe ich meinen zwischenzeitlichen Plan, und wir nehmen sein Auto und fahren ins Klinikum rechts der Isar. Auf dem Weg erzählt er, der Vorfall habe sich auf der Jungentoilette ereignet, man fand Fynn bewusstlos am Boden, von den Tätern keine Spur, die Polizeiwar da, nach kurzer Investigation führten die Hinweise zu den Verdächtigen, man habe die Personalien der drei Jungs aufgenommen. Hoppla, er habe soeben schon zu viel verraten, dürfe mir sonst nichts dazu sagen, das möge ich morgen bitte bei der Polizei in Erfahrung bringen. Das genau, genau das ist die Rückgratlosigkeit, diese verdammte Überängstlichkeit von festangestellten Menschen wie Weber, die ausschließlich darum bemüht sind, bloß keine Fehler zu machen oder eigenmächtig Verantwortung zu übernehmen und etwas zu statuieren, immer in hysterischer Vorsicht, den Job bloß nicht durch Eigeninitiative zu gefährden. Stattdessen: Hier, Herr Dr. Peng, die Daten stehen auf diesem Zettel. Man erwarte mich gegen neun auf der Polizeiinspektion, wenn ich wolle, man habe mich nicht angerufen, weil ich kein Verwandter bin, das habe man ihm, Weber, in seiner Funktion als Heimleiter und Vormundschaftsvertreter überlassen.
    Gut, in Ordnung.
    Fynn. Da liegt er, allein in seinem Bett, allein in diesem Krankenhauszimmer. Weber verpisst sich zum Glück schnell, tut, als sei er tief betroffen, die Schwester ist sehr nett, man habe extra noch auf mich gewartet, um mich Abschied nehmen zu lassen, bevor der Leichnam weggeschafft würde. Eine Obduktion sei vorgemerkt. Den neonerleuchteten Raum nehme ich kaum wahr, aber er strahlt durch seine antiseptische Kargheit etwas auf uns aus, auf Fynn, auf mich. Etwas Finales. Fynns Kopf ist voll mit quer und senkrecht verlaufenden Bandagen, dick verhüllt sind seine Ohren, die Stirn nicht zu erkennen, nur die geschlossenen Augen und das aufgeschürfte Kinn. Er ist nicht zugedeckt. Trägt nur ein dünnes Krankenhaushemdchen. Ich denke mir, es muss ihn doch frieren. Diese grimmige Kälte. Ich frage ihn, was machen wir denn jetzt?
    Ach, ich weiß es längst.
    Ich verlasse den Raum, ohne zurückzusehen. Die Nacht vergeht so schnell wie noch keine je zuvor. Ich schlafe nicht, sondern laufe durch die Stadt, bis neun Uhr morgens. Auf der Polizeiwache wird mir der dringende Tatverdacht bestätigt. Man erteilt mir die Informationen aus Kulanz, weil Herr Weber mein Patenverhältnis mit Fynn bestätigt und um Entgegenkommen mir gegenüber gebeten hat, jedoch kann man mir keine Akteneinsicht gewähren. Keiner sagt mir was Konkretes. Ich ahne warum.
    Dennoch wird Patricks Name und seine maßgebliche mutmaßliche Beteiligung indirekt bestätigt. Der Junge und seine Kumpels sind erst elf … sie befinden sich in gesonderter Obhut des Heims … und natürlich kümmert man sich um psychologischen Beistand … sie sind erst elf und einer zwölf … man sehe vorerst keinen weiteren Handlungsbedarf betreffs Untersuchungshaft, betreffs Freiheitsentzugs … immerhin sind die genauen Umstände noch nicht geklärt … das wird aber im Laufe des Tages alles … erst elf, die armen Kleinen … nein, keine Sicherheitsverwahrung … erst elf, erst elf, ist das strafmildernd? Weil Fynn erst acht ist? War? Gewesen ist? … die Jungen sind in Gewahrsam der Heimleitung. Vorerst.
    Mir stockt der Atem.
    Nein, auf keinen Fall, sperrt sie nicht ein.
    Die Fortsetzung der Vernehmungen der Jungs (der Täter!) beginnt bereits um 12 Uhr in Anwesenheit einer anwaltlichen Vertretung. Dann sehe man weiter. Ja, dann sehen wir weiter.

55
    Einen Monat später.
    Die Beamten (D und C) führen mich ins Behandlungszimmer und überlassen mich dort meinem Psychologen. Er heißtDr. Müller. Und so sieht er auch aus. F. Seine Kinnpartie macht den Eindruck, als würde er auch bei geschlossenem Mund ständig die Zähne zusammenbeißen. Das ist schon mal das Erste. Ich habe bei geschlossenem Mund die Kiefer nicht aneinandergedrückt. Das ist doch normal so, oder etwa nicht? Dieser Seelenklempner jedenfalls trägt noch dazu ein kurzärmliges Hemd und
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