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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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reden. Sein Scherenmann nickt nur ab und an pflichtschuldig, doch der Dicke regt sich immer mehr auf und betont lang und breit, wie sehr er es verurteilt und wie verwerflich es von dem Täter ist, diese Minderjährigen geschändet zu haben, und was er mit ihm machen würde. Es ist furchtbar, er will nicht aufhören, es ist so furchtbar, dieses jargonhafte Gedöns mit anzuhören, er soll es nicht wagen, die Opfer zu bemitleiden, er hat ja keine Ahnung, bezieht Stellung für die geschändeten Jungs, obwohl er keine Ahnung hat, und ich würde ihm so gerne sagen, wie das wirklich ist und dass er keine Ahnung hat und dass ich auf sein Mitleid pfeife und es ihm nicht zusteht, für die Missbrauchten einzustehen, weil sein Mitleid das Letzte ist, das wir brauchen. Je mehr sich dieser Fettwanst hineinsteigert und bloß völlig Selbstverständliches von sich gibt, desto mehr klingt es plötzlich ganz danach, als stelle es eine Riesenleistung dar, ein kleines Kind
nicht
zu ficken.
    Zwei Finger tippen auf meine rechte Schläfe. Schnell öffne ich die Augen und neige den Kopf automatisch nach links. Wenig später auf die andere Seite. Ich weine nicht. Weil es niemanden interessiert. Dann kommt noch die Schneidemaschine zum Einsatz.
    Neben mir geht es wieder um Sport. Mich befällt eine bleierne Müdigkeit. Mustapha quetscht eine Tube Gel unter Furzgeräuschen aus und will es mir in die Haare reiben. Ich lehne dankend ab, mit einer schwachen Handbewegung unter meinem Umhang. Er wischt sich die Hände mürrisch mit einem Stück Papier ab. Jetzt habe ich’s mir doch noch mit ihm verschissen. Wieso fragt er nicht,
bevor
er die Paste rausdrückt?
    »Wenn Sie schauen«, sagt er unwirsch und hält mir einen runden Handspiegel vor den Hinterkopf. Ich beurteile das Abbild in der Spiegelwand vor mir. So sehe ich jetzt also von hinten aus. Einmal von links, einmal von rechts. Ja, toll, bin zufrieden. Ein bisschen Lobhudelei. Vielleicht nicht das Nonplusultra, aber nicht übel. Etwas zu stufig an den Seiten, mag sein. Ach was. Wächst ja wieder.
    Auf dem Weg zur Kasse wische ich mir über die Augen und die Haarreste vom Hals und den Schultern. Noch ein Blick in den großen Wandspiegel, und ich bin so erleichtert, dass mir danach ist, großzügig zu sein.
    »Waschen schneiden, macht elf Euro.« Mustapha lächelt andeutungsweise und ohne Wärme.
    »Elf Euro«, wiederholt Musti, als hätte ich ihn nicht verstanden.
    »Fünfzehn bitte«, raune ich und halte ihm einen Zwanziger hin. Ich schaue zu dem Schwergewichtigen, der immer noch über Sport quasselt, und nehme mein Wechselgeld.
    Er hat’s ja nur gut gemeint.
    Aber das tun sie doch alle.

53
    Es ist lange nach drei, als ich am selben Tag in Mainz ankomme. Der Zug fährt bei durchdringender Kälte in den Hauptbahnhof ein. Die Reise verlief ohne besondere Zwischenfälle. Ich wurde zweimal erkannt. Ein Autogramm gegeben. Premiere. Ich habe mich bedankt! Ich stoße die Waggontür auf, springe auf den Bahnsteig. Führe kein Gepäck mit mir. Fahre morgen schon wieder zurück. Dann Unterhose eben mal zwei Tage tragen, so what? Man sagte mir, ich würde von jemandem vom Sender abgeholt. Stimmt. Ein junger C-Mensch mit buchstabenversetztem Pappschild, auf dem
    Z
    D
    F
    steht, erwartet mich. Pathos gepaart mit Unterforderung liegt in seinem verächtlichen Blick, den er ziellos suchend in die auf ihn zuströmende Passagiermeute richtet. Wahrscheinlich so ein »Drehbuchautor«, der den Fahrerjob nur macht, um »in das Fernsehgeschäft rein zu kommen«. Nicht das Schild, sondern seine schlecht sitzende Kleidung macht ihn zu einer auffallenden Erscheinung.
    Mein Gesicht dürfte er kennen, wenn er die letzten Tage nicht ausschließlich in einem Kellerverlies zugebracht hat. Ich nähere mich ihm, bin irgendwo in der Mitte der zum Ausgang drängenden Ankömmlinge. Er sieht mich, verrichtet eine grüßende Handbewegung und behauptet fragend, als ich in Hörweite bin: »Dr. Peng?« Was natürlich stimmt.
    Sein Gebiss, sein Lächeln würden einem Filmschauspieler Ehre machen. Einem markanten, aber lausigen. Es ist sofort klar, dass er nicht unbedingt das hellste Licht ist, das auf dieser Erde leuchtet.
    Im Auto stellt sich schnell heraus, dass er nur zwei Fahrtechnikenbeherrscht: höllisch rasen und abrupt bremsen. Bald geraten wir in einen Mörderstau, tausende Fahrzeuge dicht an dicht, und er brüllt dem angeblichen Aufnahmeleiter ins Handy, dass der Verkehr mal wieder eine Sauerei ist und wir da sind, wenn
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