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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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wir da sind. Ganz schön frech. Er legt auf, und da er die Gabe kompromissloser Respektlosigkeit sein eigen nennt, macht er ausgiebig davon Gebrauch, indem er mich sofort mit pseudointellektuellem defätistischem Gelaber, Sinnsuche und Dialektik nervt, weil er doch »Germanistik und Philosophie« studiert – wofür das? –, »aber eigentlich mal was mit Film machen möchte«. Keine Berührungsängste, der Waschlappen. Er flicht etwas verspätet ein, er heiße Thomas. Einer der Namen, der als Name längst nicht mehr funktioniert, weil er zu oft vorkommt. Fragt kurz, was ich in der Sendung mache, hat anscheinend tatsächlich keine Ahnung, wer ich bin, hat mich aber doch gerade eben erkannt. Hm. Ich bitte ihn, das Heizgebläse aufzudrehen. Macht er und will mich sofort wieder in ein Gespräch über Existentialismus in der Moderne verwickeln, weil ich angeblich »so aussehe, als könne ich da mitreden«. Eine Bemerkung, die mich total anpisst. Aber ich passe mich dem Niveau dieses Schwachsinnigen an und sage: »Oh, danke, mal sehen, ob ich da mitreden kann.« Also faselt er irgendwas Nachdenkliches über die Endlichkeit und Aussichtslosigkeit des Seins, was mit dem Thema seiner Magisterarbeit, aber auch mit seinem Leben »unmittelbar zu tun« hat. Und das lässt mir klar werden, dass er einer von den Kandidaten ist, die mit Absicht auf latent unglücklich machen, weil sie meinen, dadurch vielschichtiger zu wirken. Es ist einfach zu blöd.
    Ich hätte da noch eine Redensart anzubieten, wenn mir meine Zeit nicht zu schade wäre.
    Der Stau wirkt aussichtslos. Im Radio leiert ein Sänger leise immer wieder dieselbe Zeile vor sich hin. So ein Softrock- Geeiere mit Endlosrefrain.
    I’m coming home, I’m coming home
    Coming home, coming home
    Yeah, I’m coming home
    I’m coming home
    Und ich denke mir: Ja, und dann?
    Auch die Wagen auf der Spur neben uns bewegen sich nicht ein Jota. Wie versteinert starre ich aus dem Fenster. Mich juckt’s an der Schulter. Aber ich werde nicht kratzen. Ich werde nicht kratzen und den Reiz befriedigen. Nichts da. Ein Alptraum. Reiner Willensakt. Reine Routine. Ich bin ich. Thomas streicht mit zwei Fingern über das bewegungslose Lenkrad und zitiert mit seinem erfahrungslosen Gesicht mal eben so Albert Camus. Sehr neu ist das auch nicht. Genau wie das, was danach kommt. Um sein unerhört fesselndes Gesabbel zu unterbrechen, stelle ich ihm eine psychologische Testfrage, während wir in der Blechkolonne immer noch komplett stillstehen und er gerade einen Pullizipfel in die Länge zieht und damit sein beschlagenes Seitenfenster in kreisförmigen Bewegungen abwischt.
    »Ich hoffe, es ist nicht zu persönlich, aber es interessiert mich, Thomas. Haben Sie eine Freundin?«
    Wenn der Befragte derzeit solo ist, gibt es zwei Antwortmöglichkeiten, die einen sofort erkennen lassen, mit wem man es zu tun hat. Souveräne Typen sagen: »Nein.« Schlappschwänze sagen: »Momentan nicht.« Thomas sagt: »Momentan nicht.« Wer hätte das gedacht.
    Wir sind da. Wurde aber auch Zeit. Ein flaches Gebäude, Leichtbauweise. Thomas übergibt mich an eine Tusse (D plus) mit Klemmbrett und Knopf im Ohr, Aufnahmekoordinatorin. Sie begrüßt mich herzlich und überdrüssig zugleich. Ihre Stimme klingt leicht mitgenommen, als hätte sie einen Husten nicht richtig auskuriert. Die Stimme eines Bierkutschers. Die ganzen scheißwichtigen Personen, die hier rumwuseln,tragen ihre Bedeutung am Leibe wie eine Uniform. Ich glaube, Fernsehleute finden sich noch geiler als Werber. Ich reagiere auf den heiteren Blick von jemandem, den ich sofort wieder vergesse, mit einem angestrengten, freudlosen Lächeln. Die Stelle an meiner Schulter juckt noch immer. Glühende Marter. Keine Linderung, kommt nicht in die Tüte. Ich werde von meiner Bierkutscherin in eine kahle Garderobe gebracht. Die Aufzeichnung der Sendung beginnt in eineinhalb Stunden.
Gut.
Ausstrahlung ist heute um 23 Uhr 20.
Weiß.
Markus Lanz schaut nachher für ein kurzes Kennenlernen noch zu mir in die Garderobe.
Okay.
Er ist sehr nett, das kriegen wir schon.
Aha.
Ist das mein erster Fernsehauftritt?
Mmhm.
Ist sicher nicht leicht, so kurz nach der Katastrophe?
Och.
Das Vorgespräch mit der Redaktion haben wir ja per Handy heute Vormittag absolviert, und sie ist sicher, das wird ein schönes Interview, nicht nervös sein, heute sind noch eine ganze Reihe großer Prominenter in der Talkrunde.
Oh.
Ich schnalze mit der Zunge. Ungewollt. Sie fragt, ob ich noch was brauche,
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