Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sydney Bridge Upside Down

Sydney Bridge Upside Down

Titel: Sydney Bridge Upside Down
Autoren: David Ballantyne
Vom Netzwerk:
1
    Am Rand der Welt lebte ein alter Mann, und sein Pferd hieß Sydney Bridge Upside Down. Er hatte ein Gesicht voller Narben, und das Pferd war ein alter, lahmer Klepper, und ich beginne mit dem Mann und seinem Pferd, weil sie immer irgendwie dabei waren in jenem Sommer, als hier oben an der Küste diese schrecklichen Dinge passierten.
    Mit Sam Phelps und Sydney Bridge Upside Down habe ich begonnen, aber nun stehe ich hoch oben über der Steilküste, es ist ein sonniger Nachmittag im Januar, vielleicht drei Uhr.
    Dibs Kelly war bei mir, er forderte mich heraus, auf den toten Baum zu klettern, er meinte, ich würde mich nicht trauen. Ich drehte ihm den Arm um, drückte ihn zu Boden und schob ihn bis kurz vor den Abbruch. Unter uns an der Hafenmole lagen scharfe Felsen.
    »Soll ich dir sagen, warum ich nicht auf den Baum klettere?«, sagte ich und zog fester an seinem Arm. »Na? Na?«
    »Das tut echt weh!«
    »Dann gib halt auf«, sagte ich, »aber warte, erst musst du mir noch meine Frage beantworten.«
    »Hab ich doch schon. Ich weiß nicht, wo Mr Dalloway Urlaub macht – hey, das tut verdammt weh!«
    »Nein, ich meine mit dem Baum, was hast du über mich und den Baum gesagt?«
    »Nichts«, antwortete er.
    Ich beschrieb ihm genau, was ich sah. Ich drückte sein Gesicht ins Gras, lehnte mich über ihn und sagte, dass ich die Felsen unten sehen könne, die Wellen, die sich an der Buhne brachen, den schaukelnden Kahn an der komischen Treppe am Ende der Mole. Ein ordentliches Stück bis dort unten, sagte ich und setzte den Hebel an seinem Nacken fester an. Er tat, als würde er weinen. Er atmete rasselnd ins Gras, als müsste er ersticken, und begann zu husten.
    »Dann erklär ich dir das mal«, sagte ich und lockerte meinen Griff. »Du weißt es zwar längst, Kleiner, aber ich erklär es dir trotzdem.«
    Ich erläuterte, warum ich nicht auf einen Baum kletterte, der beim leichtesten Schubs den Abbruch hinabstürzen würde, der einfach kippen musste , erst recht, wenn einer oben in die Krone stieg. Es war praktisch unvermeidbar, dass man auf den Felsen landete. Wer das einmal verstanden hatte, der musste einfach Angst haben, auf diesen Baum zu steigen.
    »Sag mal«, fragte ich, »wer hat dir eigentlich beigebracht, so zu wimmern?«
    »Ein Mädchen«, antwortete er.
    »Wer denn?«
    »Weiß nicht mehr.«
    »Susan Prosser?«
    »Harry, ich hab’s vergessen!«
    »So habe ich noch nie jemanden wimmern hören«, sagte ich.
    »Sie machen es ja ständig«, sagte er. »Meistens hört man es gar nicht. Hast du mal deine Mutter weinen gehört?«
    »Auf jeden Fall nicht so«, sagte ich.
    »Musst du mal hinhören«, sagte er, »hör mal genau hin, wenn sie wieder zu Hause ist.«
    »Jeder weint anders«, sagte ich, »mein Bruder zum Beispiel brüllt, wenn er weint, ich glaube, es macht ihm Spaß. Ich versuche immer, die Scheißtränen runterzuschlucken, ich will nicht weinen. Ich weine eh nur ganz selten.«
    »Meine Mutter sagt immer, dass sie sich gern mal ausweint«, sagte Dibs Kelly.
    »Was hat sie denn?«
    »Immer irgendwas.«
    »So habe ich …« Eigentlich wollte ich sagen, dass ich meine Mutter noch nie so hatte weinen hören, so wie Dibs, und dass meine Mutter bestimmt nicht so dachte wie Mrs Kelly. Meine Mutter weinte eher im Stillen, wenn sie allein war.
    Konnte ich aber nicht sagen, weil Dibs mich genau in diesem Augenblick mit einem Ruck abwarf, ich musste den Griff lösen, er sprang mir auf den Rücken, ich schwankte, spürte den Schmerz, er rang mit mir, ich ging zu Boden.
    Aber halten konnte er mich nicht, ich bearbeitete ihn mit den Knien.
    »Ich mach dich fertig, du Sack!«, rief er.
    Als er zum Schlag ansetzen wollte, trat ich ihm in den Bauch, er knallte rückwärts gegen den toten Baum. Der Baum stürzte nicht ins Meer. Aber Dibs Kelly stürzte ins Meer.
    Ich beginne noch einmal am Anfang dieses Tages. Mein Bruder und ich tragen noch unsere Pyjamas, wir frühstücken mit Vater. Es gibt Würstchen und Bratkartoffeln, jede Menge Toast und Himbeermarmelade. Wir trinken Kakao, er Tee.
    »Auch wenn eure Mutter nicht da ist, gibt es einige Regeln, an die ihr euch zu halten habt«, sagte er. »Und Ferienzeit bedeutet auch nicht, dass ihr den ganzen Tag nur spielen und herumrennen könnt. Ein Stündchen Arbeit am Tag wird euch nicht schaden, in einer Stunde kann man eine Menge Unkraut rupfen. Es gibt ja genug zu tun. Harry, was ist eigentlich mit dem Maracujastrauch? Der Schuppen ist ja schon fast zugewachsen. Auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher