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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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    »Nebenan können Sie sich gleich für die Hochzeit frisieren lassen. Ich meine, wenn es dermaßen eilt …« Die Verkäuferin des piekfeinen Brautmodengeschäftes in Hamburg-Blankenese musterte mich kritisch. »Sie wollen wirklich noch heute heiraten?«
    »Klar«, sagte ich lässig. »Der Tag ist ja noch lang.«
    Zufrieden trat ich vor den riesigen Spiegel und betrachtete meine Erscheinung. So ein champagnerfarbenes bodenlanges Traumkleid aus Seide, Taft und Spitze macht wirklich einen schlanken Fuß. Darin sähe vermutlich jede Frau toll aus! Erfreulicherweise war ich unbeschwerte fünfundzwanzig Jahre jung und hatte kein Gramm Übergewicht. Ohne dass ich es wollte, huschte mir ein kleines Lächeln über das Gesicht. Dieses Wahnsinns-Ding, dieses sündhaft teure Designerkleid war wie für mich gemacht! Für mich, Konstanze Haber! Ich war die perfekte Braut.
    Mein Blick ging suchend zu meiner Mutter, die in ihrem feinen dunkelblauen Kostüm auf einem Brokatstuhl saß. Sie hatte die Beine wie siamesische Zwillinge nebeneinanderstehen und nippte an ihrem Tee. Ihr Verhalten war dermaßen distanziert, damenhaft und vornehm, als ginge sie das Ganze hier gar nichts an.

    »Wie findest du’s?« Beifall heischend wippte ich in dem bodenlangen Seidenkleid, das meine Füße keck umspielte, auf und ab. Wie ein kleines Mädchen. Am liebsten wäre ich gehüpft!
    Mutter nahm einen Schluck Tee und blickte mich prüfend an.
    Ihr Gesicht verriet keinerlei Regung: weder Stolz noch Rührung, noch Begeisterung, noch Trauer. Von wegen: Brautmutter war die Eule, nahm Abschied mit Geheule! Nein. Gefühle zeigen war nicht angesagt. In diesem Punkt war meine Mutter durch und durch elitär.
    Ich fand das völlig in Ordnung. Man kann auch gemeinsam schweigen, ganz entspannt. Vor allem mit engen Verwandten. Nonverbale Kommunikation sozusagen. Das zeigte nur, wie gut wir uns verstanden, Mutter und ich.
    Na ja, natürlich nicht immer. Jetzt, zum Beispiel, gab es schon ein paar Differenzen in Bezug auf meine etwas spontane Lebensplanung. Und auch was die Auswahl meines zukünftigen Gatten betraf, war Mutter vielleicht nicht GANZ so begeistert. Also, sie SCHRIE nicht direkt vor Glück.
    Oh Gott, Mutter, jetzt sag doch endlich was! Ich WEISS, es ist das teuerste Kleid. Aber eben auch das schönste. Ich bin doch deine einzige Tochter, und ich heirate ganz bestimmt nur einmal!
    Als wäre ich Luft, wandte sich meine Mutter an die Verkäuferin.
    »Meine Tochter ist Steinbock«, seufzte sie pikiert. »Wenn die sich mal was in den Kopf gesetzt hat, bringt
sie nicht einmal ein Erdbeben oder ein Tornado wieder davon ab.«
    »Stefan und ich haben nämlich ziemlich kurzfristig beschlossen, heute in Hamburg zu heiraten. Denn da haben meine Eltern zufällig mal beide Zeit«, erläuterte ich der befremdet dreinblickenden Verkäuferin unsere merkwürdige Familiensituation. »Und Stefans ganze Family ist extra aus Nürnberg angereist.«
    Schon bei dem Wort »Family« zog Mutter eine Augenbraue hoch.
    »Tja!«, spöttelte die Verkäuferin. »Da fällt Ihnen aber früh ein, dass Sie ein Brautkleid brauchen!«
    »Na und?« Ich schenkte der Verkäuferin, die sich meiner Meinung nach völlig unnötig aufregte, einen amüsierten Blick, während ich mich weiterhin zufrieden in dem riesigen Spiegel des exklusiven Ladens betrachtete und mich wie ein Pfau um die eigene Achse drehte. »Passt doch!«
    »Zum Glück sind Sie gertenschlank und langbeinig wie ein Model!«, lenkte die stark geschminkte Verkäuferin ein. »Wenn Sie jetzt eine Problemfigur gehabt hätten, hätten wir möglicherweise doch etwas mehr Zeit gebraucht! Die Schneiderin ist schon weg.«
    »Habe ich aber nicht!« Weder hatte ich eine Problemfigur noch sonst irgendwelche Probleme! Im Gegenteil! Ich, Konstanze, jung, schön, schlank, gebildet und verliebt, wollte heiraten! Und zwar meinen Traummann!
    Ich lächelte mein Spiegelbild hingerissen an. Ich sah aus wie ein Schwan.

    »Meine Tochter studiert in Erlangen Medizin«, erklärte Mutter der Verkäuferin. »Und wir haben genau diesen Vormittag für Brautkleidkauf und Friseur eingeplant. Zwischen zehn und dreizehn Uhr.«
    »Wissen Sie, meine Mutter hat sich erst heute Morgen dazu durchgerungen, mich auf dieses weiße Friedensfähnchen einzuladen«, scherzte ich. »Und auf diese einmalige Gelegenheit wollte ich natürlich nicht verzichten.«
    Die Verkäuferin lächelte gequält. »Darf es noch ein Schleier sein? Oder ein schöner breitkrempiger
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