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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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könnte allein damit davonbrausen, um mein Gefährt herum und sank dann erleichtert auf den Beifahrersitz.
    Stefan grinste zu mir herüber. Er hatte ein Grübchen unter seinem Dreitagebart.
    Mein Gott!, dachte ich. Ich werde mich doch nicht in ihn verlieben? Die ganze Anspannung der letzten Tage fiel von mir ab. Das passte. Dieser Mann sollte irgendwie auf mich achtgeben. Er war wie ein Schutzengel vom Himmel gefallen. Ich fühlte mich nicht unangenehm
berührt, eher im Gegenteil: Ich hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein auf der Welt zu sein. Stefan Kuchenmeister aus Wendelstein war bei mir. Er roch gut. Nach Mann. Nach Geborgenheit. Nach Vertrauen. Ich fühlte mich auf einmal so merkwürdig leicht.
    Es war Vormittag, und es war heiß.
     
    Die nächsten Tage verbrachten Stefan und ich damit, das scheußliche Zimmer halbwegs wohnlich zu gestalten. Zwar war Herrenbesuch in diesem Schwesternheim strengstens verboten, aber er war ja im herkömmlichen Sinne kein Besuch. Und kein Herr.
    Mein Vater, der war ein Herr. Der hatte, solange ich mich erinnern konnte, immer feine Westen getragen, auch bei 35 Grad im Schatten. Väterchen machte sogar noch in der Bügelfaltenhose Gartenarbeit. Mein Vater war Doktor jur., ein echter Gentleman. Er führte den BFW, einen Riesen-Bauindustrieverband, er traf Minister, alles war immer supersuperwichtig zwischen Bonn, Hamburg, München und Berlin. Er trat in politischen Talkshows auf, seine Meinung war gefragt, und die FAZ und Süddeutsche druckten seine Statements. Wenn Väterchen aus dem Taxi stieg, riss ihm der Fahrer automatisch den Schlag auf. Mein Vater trug stets einen schwarzen Seidenschirm mit echtem Bambusgriff mit sich herum, bei jedem Wetter übrigens. Also, was ich damit sagen will, ist Folgendes: Den »Herrn« sah man ihm bei jedem Wetter an.

    Und Stefan? Der war genau das Gegenteil. Er besaß handwerkliches Talent, war fröhlich, pfiff beim Arbeiten und machte einen so zuverlässigen Eindruck, dass mir ganz warm ums Herz wurde.
    »Reich mir mal das Schmirgelpapier. Was hat dich eigentlich dazu bewogen, Medizin zu studieren?« Ohne sich umzudrehen, streckte Stefan seinen Arm nach hinten.
    »Der Traum von einer Impfung!«, gab ich betont lässig zurück. Dabei war es mir das wichtigste Anliegen überhaupt! Ich ging in die Hocke. »Um Frauen zu helfen«, sagte ich schon bestimmter. Ich reichte ihm das Schmirgelpapier. Seine Hand fühlte sich warm an. »Du hältst mich bestimmt für größenwahnsinnig, aber … wäre es nicht einfach GEIL, wenn es gelänge, eine Impfung gegen Krebs zu finden?« Schnell richtete ich mich wieder auf.
    Das schlimme G-Wort passte zu meinem neuen Outfit, und ich genoss es, es zum ersten Mal in meinem Leben auszusprechen. Inzwischen steckte ich nämlich in alten ausgebeulten Jeans und hatte diese spitze Tüte auf dem Kopf, die Stefan mir aus der »London Times« gebastelt hatte.
    Amüsiert drehte er sich um. Seine Mundwinkel zuckten. »Die reinste Florence-Nightingale-Nummer also! Kämpfst du wirklich für eine bessere Welt? Bist du tatsächlich so naiv?«
    »In der Geschichte der Medizin gab es immerhin die Pest und die Cholera, Aussatz, Diphtherie und viele andere grässliche Krankheiten. Gegen alle wurde irgendwann
ein Wirkstoff erfunden.« Ich rieb mir die Stirn. »Nur nicht gegen Krebs.«
    »Da ist was Wahres dran«, brummte Stefan und schmirgelte den verdreckten Linoleumfußboden ab. »Aber ist das wirklich der Grund, warum du dir dieses Studium antust? Du willst echt die Welt retten?« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sah mich über die Schulter hinweg prüfend an.
    Ich fühlte mich ertappt. »Na ja«, räumte ich ein. »Wir wollen alle Geld verdienen und sorgenfrei leben, klar. Aber wäre das nicht der Hammer, wenn wir einen Impfstoff gegen Krebs finden würden? Ich habe mich während des Studiums näher mit Gebärmutterhalskrebs befasst. Daran müssen Frauen häufig sterben. Das lässt mich nicht los.« Ich spürte selber, dass es größenwahnsinnig und gleichzeitig naiv klang, was ich da so vor mich hin plapperte. Aber inzwischen war mir irgendwie danach, diesem Stefan auch mal ein bisschen zu imponieren. Um meine Hände anderweitig zu beschäftigen, griff ich nach einem leeren Karton und faltete ihn zusammen.
    »Wow!« Stefan ließ sein Stück Sandpapier zu Boden fallen. »Die Dame will eine Erfindung machen. Ganz uneigennützig. Wow!«
    »Natürlich will ich helfen!«, verteidigte ich mich. »Aber das
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