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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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hat, neben einer Schachtel Kleenex für die Heulsusen, ein goldgerahmtes Bild von Frau und Kindern auf seinem Schreibtisch stehen. Ich frage mich, was ein anderer Psychiater wohl über ihn sagen würde. Ich meine, was will mir
so
jemand erzählen? So jemanden kann ich nicht ernst nehmen. Ein Allerweltsheini, der nicht ohne Grund den Versagerstudiengang Psychologie gewählt hat, für Menschen, die ihren Problemen nicht mit Sachlichkeit beizukommen vermögen. Und so einer trifft auf MICH. Lächerlich. Was möchte mir so einer für Fragen stellen, die ich mir nicht schon längst in aller Gnadenlosigkeit selbst gestellt habe?
    Ein Psychologe ist vielleicht der Richtige für die Weicheier aus der neurotischen Sippe der Verlorenen. Die mit null Nehmerqualitäten. Die Verdrängungsakrobaten. Für die meisten eben. Die sich unbewusst davor fürchten, Sachen über sich und das Leben herauszufinden, die sie lieber nicht wissen wollen.
    Heute ist unsere neunte Sitzung. Ich setze mich in den mir bestens bekannten Sessel.
    Auf nahezu jede der leutselig vorgebrachten Vorstöße dieses psychiatrischen Fachmanns denke ich bei mir: Ich glaube nicht, dass ich das einem Mann erklären kann, der Gummibärchen in einer Glasschale bereitstellt, durchmischt mit Schokoriegeln, die durch Sonnenbestrahlung schon mehrfach geschmolzen und dann wieder hart geworden sind. Und der Saab fährt und Ferien auf dem Bauernhof macht. Nichts ist so schwer zu ertragen wie Mittelmäßigkeit.
    Natürlich weiß ich, dass meine kategorische Ablehnung professioneller psychologischer Hilfe auch darin begründet liegt, mich und meine Probleme nicht mit verallgemeinernden Krankheitsbildern identifiziert sehen zu wollen. Man besteht eben darauf, dass die eigenen Probleme einzigartig sind.
    Auf jeden Fall ist das hier genauso wie erwartet. Nutzlos, sinnlos, harmlos. Also husch husch, los geht’s, fertig werden.
    Wir beginnen unser Gespräch. Und ich tue mal so, als sei ich erpicht aufs Reden, mit mir ins Reine kommen zu wollen, spiele, je nach Bedarf, mal den Überraschten, mal den Erleuchteten, gebe Dr. Müller beizeiten das Gefühl, er habe mich beim Flunkern, quasi in flagranti ertappt, mal gestenreich, mal steif, lüge das Blaue vom Himmel herunter, biege die Wahrheit, stelle sie in entfremdenden Gesamtzusammenhang, webe sie in eine andere Geschichte ein. Er fragt nach, tut, als wüsste er die Antwort (natürlich), wolle sie aber von mir hören, et cetera, ich denke mir, spinn ich, oder ist das eine absurde Situation?, und wenn mir gerade gar nichts Knalliges einfällt, sage ich: »Was soll ich sagen?«, und eigentlich heißt das nichts weiter, als dass ich der Meinung bin, dass ein Leben nun mal ständigen Krisen und Prozessen des Infragestellens unterliegt, Krisen noch und nöcher, eine vollkommen normale Sache, in uns angelegt, a priori, er webt ab und an Weisheiten ein wie: »Willst du vorwärtsgehen, dann geh zurück.« Ich denke mir ein Substantiv aus, es lautet Holzkopf, verlautbare es aber nicht, er gibt mir den ein oder anderen Denkanstoß, ich denke mir, erzähl mir nichts, für so einen Stumpfsinn bin ich der falsche Abnehmer, und manchmal werde ich richtig lebhaft und fange an – beinahe entfesselt –, meinen eigenen Erzählungen zunehmend mehr Glauben zu schenken, ich baue Wörter im falschen Sinnzusammenhang ein, Begriffe wie »somnambul« und »luzid« und warte, ob er mich verbessern wird, tut er nicht, wie er verdächtigerweise überhaupt nicht spöttisch ist, nullKomma null, was für mich der Beweis ist, dass er alles für bare Münze nimmt, was für mich der Beweis ist, dass er nicht sehr gescheit sein kann, quod erat demonstrandum, wenn ich mich recht entsinne, war es Sokrates, der extra Fehler in seine Geschichten einbaute und seinem Gegenüber damit die Möglichkeit gab, ihn zu korrigieren oder zu widerlegen, was – wie ich meine – eigentlich auch nicht besonders weise ist, weil immer die Gefahr besteht, auf einen mindestens gleichwertig weisen Menschen zu stoßen, der dann seinerseits darauf verzichtet, den vermeintlichen Irrtum aufzuklären, und so ginge das immerfort weiter, was meiner Meinung nach beweist, dass dieses Konzept – mit Verlaub – auch nicht besonders helle, wenn nicht gar ein bisschen dümmlich ist, oder Herr Sokrates?, Mr. Weltstar-Philosoph!, stopp, zurück, korrigiere mich, nicht Sokrates, Platon war es, Platon! (war auch nichts weiter als ein Test), Dr. Müllers am häufigsten verwendeter Satz lautet »ganz
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