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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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bitte.«
    Ich bin in der falschen Stadt.

03
    Sechs Stunden werde ich wohl hier auf der Bank vor dem Panoramafenster mit Aussicht auf die Düsseldorfer Start- und Landebahnbahn sitzen und auf meine Maschine warten. Der Gedanke allein schlaucht.
Warten
. Ein Zustand, dessen Tristesse ja allgemein anerkannt ist. Und meine Flugangst potenziert sich dadurch auch noch überproportional. Was für ein Akt es eben war,
überhaupt
noch ein Flugticket nach Hause zu bekommen. Möchte man nicht glauben, dass die Strecke so begehrt ist. Ich fläze mich missmutig in meinen Sitz in der Abflughalle, Gate wasweißich, zücke mein Telefon und tippe einmal auf die Kurzwahltaste. Mit einigem Druck presse ich das chronisch fettige Rechteck an mein Ohr.
    »Fynn, ich bin’s. – Ja, alles okay. Bei dir auch? – Nein, nein, ich bin nur gerade aufm Flughafen. – Ja, geschäftlich. Klar. – Bei uns bleibt’s bei kommendem Dienstag, oder? – Wenn du möchtest, können wir ins Kino gehen. Und dann auf ein Eis oder Sushi oder beides oder was du … – Gut! – Gut, ja. – Ist ja schon in … sechs Tagen. – Dann hole ich dich von der Schule ab. Wann hast du aus? Um Viertel nach zwölf? – Ah, früher, ja schön, dann … – Genau, dann um halb zwölf. Hast du der Frau Richling das mit der Hausaufgabe erklärt? – Das ist … ja, das klingt doch gut. – Aber wenn du dort bist, dann hol ich dich besser an der Pforte vom Heim ab, oder? – Kinoprogramm bring ich mit, oder hat der Herr besondere Wünsche? – Wie: keine Ahnung? Du bist ja lustig, ich schau mal, da finden wir schon was. Sonst gehen wir in den Zoo, haha. – Ich weiß doch, dass du das nicht ma… – Arme Löwen, ja, ich weiß. – Ja, und arme Tiger. Und … genau, die auch, ja. Tiergefängnis. – Ja, klar. Geht’s dir sonst gut? – Nö, das ist schon vorbei. – Bin gerade in Düsseldorf. – Ähm, wir haben hier, ähm, wir hattenein Meeting wegen einer, ähm, nicht so wichtig, uninteressant für dich. So ein Großhandelskonzern. Funktioniert die Xbox jetzt? – Prima. – Ah, gut. Okay du, dann bis Dienstag, ja? – Egal, wir telefonieren davor doch sowieso noch mal. – In Ordnung, bis dann, Tschühüss.«
    Ich lege auf. Mit unscharfem Blick schaue ich durch die Scheibe auf die kaum zu erahnende Sonne am Himmel. Die kenn ich. Ist immer dieselbe. Sie entfaltet keine wärmespendende Wirkung und ist so schwach, dass man ihr ins trübe Auge schauen kann. Ihre matte Erscheinung kündigt den nahenden Winter an. Ich mag den Winter lieber als den Sommer.
    Mein verschwommenes Starren bleibt noch etwas haften. Der Zustand jenseits von Glück und Unglück. Von nichts aufgeschreckt, außer der Frist, die man sich selbst für solche gedankenverlorenen Momente setzt, sauge ich die Luft ein und fasse mich wieder. Wie wenn man sich sagte: Schluss, mehr gibt’s nicht. Mehr gibt’s auch nicht, weil der Herr neben mir den Umstand, dass wir beide ziemlich teure Anzüge tragen, für eine Gemeinsamkeit hält, die ihn glauben macht, sich gestatten zu können, mit mir Verbindung aufzunehmen. Er hält sich und mich für
unsereins
! Von wegen. Ich ahne, wir haben nicht die geringste Schnittmenge. Und ehe ich mich innerlich sortieren kann, fragt er mich beiläufig, aber hochinteressiert: »Ihr Sohn?«
    »Wie bitte?« Ich sehe ihn von der Seite an.
    »Entschuldigung, ich habe Ihr Telefongespräch mitbekommen. Ich meinte nur …«
    Ich will nicht zu tief einsteigen, also antworte ich: »Ah. Ja, ja genau, mein Sohn«, obwohl Fynn nicht mein Sohn ist. Fynn hat keine Eltern. Sie konnten nie ermittelt werden. Das verbindet uns. Das ist einer der Gründe, warum ich Fynns Patenschaft übernommen habe. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass erwachsene Vollwaisen sich um den Nachwuchs kümmern.
    »Schön!«, sagt der graugesichtige Unbekannte, »Ihr einziger?«
    Ich nicke. Wahrheit, Unwahrheit, ist doch egal.
    »Wie alt ist er denn?«, erkundigt er sich weiter und behält mich eisern im Blick. Man darf solche Fragen niemals als Interesse an einem selbst missverstehen. Sie sind lediglich Vorwand und Vorlage für den Mitteilungsdrang des Fragestellers.
    »Er ist acht«, gebe ich konziliant Auskunft. Ich muss mitspielen, wenn ich nicht will, dass Herr Neugierig sein Gesicht verliert. Lieber würde ich noch ein paar Telefonate machen oder die zerfledderte »Financial Times« lesen, die jemand auf einem der schräg gegenüberstehenden Stühle hat liegen lassen, als mich mit diesem hinterkopfglatzigen
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