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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia
Autoren: Robin Felder
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Architektur. Alle in tadellosem Zustand, keines fällt besonders ins Auge. Hier und da alter Baumbestand. Kopfsteinpflaster auf der Fahrbahn. Eine Brise treibt ein Bonbonpapier darüber. Der Bordstein bedarf neuer Bodenplatten, wenn man diesen Alte-Schule-Stil nicht für
Kult
hält. Diese ganze Kultscheiße ist auch schon irgendwie durch. Durch den Großteil der Gehsteigritzen drängt sich moosiges Gras. Die bienenkorbähnlichen Laternen bestehen aus gelbem Glas, aufgespießt von schwarzen Masten. Alles in allem, eine vornehme Gegend.
    Derartige Betrachtungen geben mir immer noch keine genügende Antwort auf meine Frage, wo ich bin. Ich bin wie gelähmt. Bei der schätzungsweise dreißigjährigen Frau mit rosenwangigem Kindergesicht und Pagenschnitt, die mit Einkaufstüten an mir vorbeigeht, C-Mensch, werde ich mich schon mal nicht erkundigen. Wie hört sich so was denn an?»Könnten Sie mir bitte sagen, wo ich bin?« Nein, lieber nicht. Ich möchte kein Aufhebens um mich machen. Bevor ich jemanden nach etwas frage, brauche ich immer erst eine gewisse Aufwärmphase, während der ich inständig hoffe, dass sich das Problem in der Zwischenzeit von selbst löst.
    Ein Windstoß bringt die wenigen restlichen Blätter der Bäume zum Rascheln. Zig Eicheln fallen von den Ästen und prasseln zu Boden. Eine davon trifft mich im Nacken. Wie gezielt. Leicht angeekelt zucke ich zusammen, ziehe die Schultern hoch, um sie vom Weiterrutschen unters Hemd abzuhalten, und entferne sie aus meinem Kragen.
    Ich erreiche eine Kreuzung, an der mir blaue Schilder mitteilen, dass ich mich an der Ecke Seydlitz-/Mauerstraße befinde. Hurra! Das sagt mir gar nichts. Nie gehört. Ich schaue umher, enttäuscht von der Nutzlosigkeit dieser Information. Und fühle mich ziemlich verloren. Ozeane und Landmassen von daheim entfernt. Ich irre nicht gern ohne Orientierung durch die Fremde. Ich liebe es, mich auszukennen.
    Zu allem Überfluss bleibt mein Blick unwillkürlich an einer Doppel-Reklametafel hängen. Links, die Werbung für Feinwaschmittel, ignoriere ich. Nur das rechte Plakat, das von einem bahnbrechenden Haarwuchsmittel kündet, erregt kurz meine Aufmerksamkeit. Natürlich wird die Wundertinktur nicht funktionieren. Aber eine höher werdende Stirn raubt einem nun mal den letzten Nerv.
    Ich schweife ab. Passiert mir immer öfter.
    Gebieterisch und flehend sehe ich mich weiter um und drehe mich dabei zweimal um die eigene Achse, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt. Auf den meisten Autokennzeichen steht ein D. Na also. Das ist doch schon mal was. Düsseldorf. Auch auf dem Taxi, das sich mir nähert. D. Gut! Aber ich sehe, es ist ein Großraumtaxi. Daher lasse ich es vorüberfahren. In so was steige ich nicht ein. Nicht allzu lange darauf kommt einnormales. Ich mache einen Schritt nach vorne, näher zur Fahrbahn und hebe meinen Arm. Dabei recke ich zusätzlich drei Finger in die Luft. Sie sind steif vor Kälte. Ich winke, ein reiner Routinevorgang. Der Mercedes fährt ran. Lässig öffne ich die hintere Tür des elfenbeinfarben beschichteten Wagens mit Dreckspritzern an den Seiten. Die Angeln machen ein Geräusch, als würde jemand mit seinen Fingernägeln über eine Tafel kratzen. Ein kurzer Schauer fährt über meinen Rücken. Ich steige ein, mit präsidialer Würde, wie ein Mann von Welt. Dem ein wenig die Beine zittern.
    »Guten Tag«, sage ich schonungsvoll und lasse mich auf den Sitz sinken. Und schon bin ich in einer anderen Sphäre.
    Verdutzt beantwortet der Fahrer mit serbokroatisch flachem Hinterkopf, aber perfektem Ausländerdeutsch (F-Mensch), meine anschließende, hilflose Frage mit »Na, Mittwoch natürlich. Heute ist Mittwoch.«
    Ich sage: ah, danke. Denke mir: ah, zwei Tage. Und lehne mich zurück. Fast zwei Tage fehlen mir in meinem Gedächtnis. Mein Gott, zwei Tage.
    Das Taxameter wird angeschaltet. Im leise gedrehten Radio verkündet jemand hochmotiviert und einfühlsam die meteorologischen Prognosen, als wäre schlechtes Wetter was Neues. Der ehemalige Freiheitskämpfer aus dem erschreckend nahen Osten sitzt halb zu mir gedreht da und wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu, aus dem ich nicht ganz schlau werde. Er sieht aus wie eine Suppendose. Ich spreize die Hände. Sammle mich. Zwei Tage! Weg. Futsch. Ausgelöscht. Stumm stiere ich den Fahrer an, meine Miene spricht Bände. Was – ist – denn?
    »Wohin soll’s gehn?«, erkundigt er sich trocken.
    Ach so, ja.
    Will heim.
    Ich sage harmlos genug: »Zum Flughafen
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