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0071 - Knochensaat

0071 - Knochensaat

Titel: 0071 - Knochensaat
Autoren: Jason Dark
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Eigentlich führte Fred Spatzek trotz seiner zwei Berufe ein ziemlich ruhiges Leben. Ein Leben, wie man es vom Dorf her kennt. Man fühlt sich eingeschlossen in den Kreislauf der Natur, beobachtet die Jahreszeiten, diskutiert über das Wetter, redet über die Nachbarn und kommt hin und wieder auf die Arbeit zu sprechen.
    Spatzek war Küster. Zum einen. Als zweiten Beruf hatte er den des Totengräbers gewählt. Ein nicht gerade attraktiver Job, aber die Gemeinde suchte einen Totengräber, und da hatte er sich gemeldet.
    Kirche und Friedhof hingen zusammen, sie bildeten gewissermaßen eine Symbiose – eine Lebens- beziehungsweise Totengemeinschaft. Aber davon später. Wenden wir uns zuvor Fred Spatzek zu. Als Junggeselle lebte er oben im Pfarrhaus, bewohnte dort zwei kleine Zimmer, die man schon mit dem Begriff Kammern umschreiben mußte, so klein waren sie. Wenn er durch die schmalen Fenster schaute – sie lagen nach Osten – sah er über die Hänge des Bayerischen Waldes bis weit in die Tschechoslowakei. Ihn überlief jedesmal ein Schauer, wenn er an die Wachtürme und Schießanlagen dachte, die die Grenze absicherten. Doch hin und wieder schaffte es ein Flüchtling, nicht zuletzt auch durch Fluchthilfe aus dem Westen, und so erlebte die kleine Gemeinde Waldeck hin und wieder etwas Besonderes.
    In diesem Jahr jedoch hatte sich nichts getan. Das kam vielleicht daher, daß die Tschechen ihre Grenzkontrollen verstärkt hatten und auch sofort schossen, wenn sich etwas bewegte. So war es also ruhig geblieben.
    Touristen kamen kaum in den Ort. Und wenn, dann suchten die Urlauber Ruhe und Erholung. Denn in Waldeck gab es keinen Rummel, keine Discos, nur Gasthöfe, wo man sich einen Rausch antrinken konnte und hinterher vom Wirt auf die Straße gesetzt wurde. Aber am gestrigen Tag hatte die Totenglocke geläutet. An diese Töne konnte sich der Küster und Totengräber nie gewöhnen. Immer wieder klang ihm das dünne Bimmeln noch lange in den Ohren nach. Er mochte die Totenglocke nicht.
    Der Umgang mit Leichen machte ihm nichts aus. Leichen redeten nicht, Leichen taten ihm nichts. Und vor allen Dingen gaben sie keine Widerworte, wie Marie, die alte Haushälterin des Pfarrers und gleichzeitig Drachen vom Dienst.
    Aber gestorben war lange keiner mehr aus dem Dorf. Den Alten bekam die frische Luft des Bayerischen Walds, einer im Dorf ging sogar auf die Hundert zu.
    Das würde ein Fest werden.
    Fred Spatzek freute sich jetzt schon darauf.
    An diesem Abend – es war ein Montag, und er hatte die Abendglocke schon geläutet – machte sich Fred Spatzek für seinen kleinen Spaziergang bereit. Er endete regelmäßig im Gasthaus. Der Rückweg ging dann nicht so schnell. Vor allen Dingen die letzte Steigung bis zur Kirche hin bereitete ihm bei fünf Halben im Bauch immer große Mühe. Und wenn Marie ihn dann noch sah, gab es sowieso immer ein Donnerwetter.
    Fred Spatzek zog sich in seiner Schlafkammer um. Den Rock des Küsters legte er auf das Bett, zog ein anderes Hemd an, eine Hose aus grobem Cord und streifte die Jacke über.
    Er besah sich im Spiegel.
    Eine Schönheit war Fred Spatzek nicht.
    Einundfünfzig Jahre zählte er bereits, die Haare auf seinem Kopf konnte er bald einzeln legen, und aus seinem schmalen Gesicht stach die Nase spitz hervor. Das Kinn fiel zum Hals hin ab, und um seine Augen hatten sich unzählige Fältchen gruppiert.
    Er pfiff vor sich hin, denn er hatte großen Durst. Den zu löschen, war für ihn immer ein Vergnügen.
    Spatzek verließ seine Kammer, schloß die Tür ab und ließ den Schlüssel in die Jackentasche an der rechten Seite gleiten.
    Dann schritt er die Stufen der schmalen Holzstiege hinunter.
    Durch das schmale Fenster am ersten Treppenabsatz fiel das Abendlicht. Bald würde die Dämmerung einsetzen und wie mit langen, dunklen Fingern in die Täler kriechen. Waldeck lag etwas höher, auf dem Kamm eines Hügels. Zum Westen hin erstreckte sich dichter Wald, während in der anderen Richtung, auf die Grenze zu, die Bäume abgeholzt worden waren.
    Spatzek erreichte das Erdgeschoß. Links lag die Wohnung des Pfarrers. Essensduft drang an Spatzeks Nase, und der Küster schnüffelte. Er schlich zur Haustür.
    Marie brauchte nicht unbedingt zu sehen, daß er wieder einmal verschwand. Doch die hatte Argusaugen.
    Plötzlich trat sie aus einer Nische und verbaute dem armen Spatzek den Weg.
    »Na«, sagte sie mit ihrer Reibeisenstimme, und der Totengräber zuckte regelrecht zusammen. »Willst du wieder
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