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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Zeiner
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DIE ERDZEITALTER
    An einem Spätabend, dem Wetter nach zu urteilen irgendwo zwischen November und Februar, bekam Holler unerwarteten Besuch von seiner Ehefrau, die, wie sie sagte, ein paar Kleinigkeiten abholen wollte. Obwohl sie noch einen Schlüssel hatte, klingelte sie mit dem Handy kurz bei ihm an, um nicht einfach so hereinzustürzen, aus heiterem Himmel, sagte sie, was angesichts der Witterungsverhältnisse unpassend erschien, denn der Himmel hing tief, und in den Lichtkegeln der Straßenlaternen wirbelte Schnee. Die Ehefrau berichtete dem Anrufbeantworter, dass sie zufällig in der Gegend und in circa fünf Minuten in der Wohnung sei. Thomas, der vermutlich neben dem Telefon stehe, solle sich also nicht wundern. Thomas wunderte sich aber trotzdem.
    Er hatte, als es klingelte, nicht neben dem Telefon, sondern am Fenster gestanden. Die kahlen Winterbäume entlang der S-Bahn und die von Licht durchbrochenen schwarzen Fassaden der gegenüberliegenden Wohnhäuser waren nur undeutlich zu erkennen im Schneetreiben, das bis in sein Zimmer zu reichen schien. Er dachte an nichts, wenn nichts etwas ist, während das in sich bewegte und doch gleichsam in der Luft stehende weiße Geflimmer den Eindruck von Ewigkeit erweckte und großer Stille, wie sie in Schneehalbkugeln aus Plexiglas herrschen mochte und die erst durch das Klingeln des Telefons gestörtwurde. Die Töne näherten sich von weit her, und als sie bei ihm anlangten, war die Stimme seiner Frau schon wieder verklungen. Das abschließende Tuten des Apparats erschien ihm nun lauter, nadelte in den Ohren. An der hektischen Reflexion auf der Fensterscheibe sah er, dass der Fernseher geräuschlos lief, und als sein Spiegelbild aus der Nacht vor ihm auftauchte, bemerkte er die längst verloschene Zigarette in seinem Mundwinkel. Auch fiel ihm, als er sich umwandte, um das Gerät auszuschalten, die Unordnung im Zimmer auf: die über die Holzdielen verstreuten Kleidungsstücke, leeren Sixpack-Kartons, Flaschen, zerknüllten Notenpapiere und darüber der Staub, der viele Staub, und alles das machte, wie er plötzlich dachte, den widersprüchlichen Eindruck einer über die Maßen bewohnten, gleichzeitig längst verlassenen Wohnung.
    Es war aber sinnlos, noch ans Aufräumen zu denken. Schon als er im Badezimmer stand, wo er sich vor dem Spiegel mit der einen Hand durchs Haar fuhr, um wenigstens dieses zu ordnen, und mit der anderen sein Hemd in die Hose klemmte, hörte er das Kratzen des Schlüssels in der Tür.
    »Hallo«, sagte Hedda.
    »Hallo«, sagte er.
    Sie war umschwebt von einem leichten Frostgeruch, dem Hauch eines Parfums auch, das Holler nicht kannte. Schneekristalle lagen auf ihrem hellen Haar und glitzerten im Licht, im Taschenlampenlicht seines Blicks, das sie nur flüchtig gestreift hatte und dem doch nicht entgangen war, dass sie ihren Hals sofort etwas gestreckt hatte, bemüht offenbar, über alles hinwegzusehen, über das, wie sie es nennen würde, Chaos, einschließlich seiner Person, aber er hätte ihr Gesicht viel genauer beobachten müssen, um auch das heimliche Entsetzen zu erkennen,das ihre Augen kaum merklich weitete. Sonst bewahrte sie Haltung. Sie erinnerte an eine Königin, die ein Leprakrankenhaus besucht.
    »Du bist also da«, sprach die Königin.
    »Ja, ich bin da«, sagte er. Er hatte lange nicht gesprochen und wunderte sich über den Klang seiner Stimme. »Du«, fuhr er fort und hob die Schultern etwas an, »bist ganz nass.«
    »Es schneit«, sagte sie.
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Aber der Schnee bleibt nicht liegen.«
    »Tja«, sagten beide fast gleichzeitig, als bedauerten sie die Vergänglichkeit des Schnees oder etwas anderes, und sahen zu Boden. Ein Lächeln balancierte unsicher auf ihren Mündern, bevor es herunterfiel. Sie standen weit voneinander entfernt. Der lange Flur, der sie verband und gleichzeitig trennte, schien tief in die Vergangenheit hineinzureichen. Es war sehr still. Erst als Holler, die Hände in den Hosentaschen, mit der Fußspitze einen leeren Pizzakarton langsam um einige Zentimeter verschob, während er heimlich Heddas Schuhe betrachtete, helle, von Schneenässe verfärbte Wildlederstiefel mit einem dünnen hohen Absatz, da sie, die immer etwas größer gewesen war als er, es nun sicher genießen würde, sich seinetwegen nicht mehr kleiner machen zu müssen, erst da entstand ein leises Geräusch. Er schob den Pizzakarton wieder zurück . Er hob die Augenbrauen, atmete ein, als ob er etwas sagen wollte, sagte aber
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