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Nelken fuers Knopfloch

Nelken fuers Knopfloch

Titel: Nelken fuers Knopfloch
Autoren: Horst Biernath
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dem Wagen auch von selber wieder schlossen. Es war eine jener technischen Spielereien, die Michael Pforten in Hollywood kennengelernt und nach Sachrang schon vor zehn Jahren mitgebracht hatte. Für den ewigen Sommer Kaliforniens berechnet, versagte die Einrichtung hier im Winter manchmal, und die Gäste, die der Technik mehr vertrauten als der gesunden Vorsicht, büßten ihr Vertrauen zuweilen mit eingedrückten Stoßstangen oder zerschlagenen Scheinwerfern ein.
    Bei Marcel Etienne funktionierte die Selenzelle ohne Tadel, und er hielt vor den Garagen, nachdem er etwa einhundertfünfzig Schritte auf einem gepflegten Weg durch den Park gefahren war und auch den riesigen Rasenplatz mit den leuchtenden Blumenanlagen und dem großen Schwimmbecken hinter sich gelassen hatte. Die Garagen boten vier Wagen Platz. Etiennes Versuche, mit Sachrang eine telefonische Verbindung zu bekommen, waren allesamt gescheitert. Wahrscheinlich hatte Pforten die Leitung die ganze Zeit über in Beschlag gehalten. So war er einfach von Kronbeuren bei Romanshorn, wo seine Mutter lebte, losgefahren, und es war ihm nicht einmal unlieb, überraschend auf Sachrang zu erscheinen. Überraschend für Heliane Pforten, mit der Etienne eine alte, herzliche Freundschaft verband, eine Freundschaft, die schon bestand, als Michael Pforten Heliane noch nicht kannte, und als namenloser und nach der Meinung seiner Direktoren völlig unbegabter Anfänger auf drittklassigen Bühnen und Sommertheatern in winzigen Dienerrollen auftreten oder als Statist im Volk >rhabarber< murmeln durfte.
    Marcel Etienne war, als Pforten vor sechzehn Jahren Heliane heiratete, Junggeselle geblieben. Und wenn er daran dachte, wie rasch und mühelos Pforten ihn beiseite geschoben hatte, dann umschattete sich sein Gesicht noch heute. Selbst Heliane, von ihren Freunden Heli genannt, war der Meinung, daß Etienne ihretwegen keine andere Frau geheiratet habe. Manchmal glaubte Etienne selber daran, aber in klaren Augenblicken erkannte er, daß er der geborene Junggeselle und Einzelgänger war und daß sein Zögern, sich Heliane zu erklären, ganz andere Ursachen gehabt hatte als jene Schüchternheit, auf die er sich später hinausredete. Er liebte die Schönheit leidenschaftlich, aber er fürchtete ihre Vergänglichkeit — und vor allem liebte er seine persönliche Freiheit. Michael Pforten, auf Marcel Etienne bei aller Freundschaft immer noch ein wenig eifersüchtig, behauptete, Etienne sei der krasseste Egoist, der ihm je im Leben begegnet sei. Es war etwas Wahres daran, aber er war auch nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit lebte Marcel Etienne nur für eine einzige Leidenschaft, seinen Beruf. Ursprünglich hatte er Medizin studiert, aber einer alten Neigung folgend, war er zur Archäologie übergeschwenkt und schrieb, wenn er nicht gerade Ausgrabungen in Mexiko oder Peru leitete, in der Fachwelt stark beachtete Bücher über die Kulturen der Maya und Azteken und war den Geheimnissen der altmexikanischen Hieroglyphen auf der Spur. Einer seiner Theorien über die Bedeutung der Bildzeichen hatte zu aufsehenerregenden Entdeckungen im Zahlensystem und im Kalender der Maya geführt. Er hatte den Nachweis erbracht, daß der Ausgangspunkt aller astronomischen Berechnungen jenes Kalenders der 25. Mai des Jahres 482 war, der Tag einer einmaligen Gestirnkonstellation, nämlich des engsten Beisammenstehens von Mond, Venus, Mars, Jupiter und Merkur am nächtlichen Himmel, von einer Priesterkaste ehrfürchtig bemerkt und fixiert, die in jener Frühkultur der Menschheit bereits erstaunliche mathematische Kenntnisse besessen haben mußte.
    Er war zuletzt zwei Jahre lang in der südamerikanischen Provinz Chiapes gewesen und hatte dort unter äußerst schwierigen Verhältnissen zwei gewaltige Tempelanlagen entdeckt und zum größten Teil dem Schutt der Jahrhunderte und der tropisch wuchernden Vegetation entrissen; Ein paar Wochen lang war er sogar zu einer Art von Zeitungsruhm gelangt, an dem ihm aber wenig lag, denn sein Organ für Eitelkeit war nur schwach entwickelt.
    Heliane Pforten, die auf der Terrasse des Hauses ein Sonnenbad nahm und ihn sofort entdeckte, lief ihm über den Rasen entgegen. Sie war jetzt sechsunddreißig Jahre alt, aber an ihrer Figur hatte sich nichts verändert, sie war noch immer so schlank wie als junges Mädchen. Etienne kletterte aus seinem Fiat, fing sie mit beiden Armen auf und bekam von ihr einen herzlichen Kuß auf den Mund, den er ebenso herzlich erwiderte.
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