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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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sah ich unsere Gesichter unter dem weiß schimmernden Pulver. Als Richard sich vorbeugte und ihm sein eigenes Gesicht entgegenblickte, gerade als der Strohhalm im Spiegel den Strohhalm in seiner Nase traf, kreischte eine Möwe vor dem Fenster. Nicht weit entfernt dudelte ein Radio »Don’t stop, thinking about tomorrow …« , denselben Song, den ich schon auf dem Weg hierher gehört hatte. Die Musik wurde von derselben Meeresbrise herübergeweht, die die Vorhänge hinter meinem Kopf aufbauschte und den Sand- und Holzgeruch des Strandes in das kleine Häuschen trug. Aber wegen des Kokains konnte ich ihn nur noch erahnen.
    Mir wurde bewusst, dass ich die Jungs vermutlich niemals live sehen würde.
    Später gab es eine Party. Ich traf Ron Wood, Ringo Starr und viele andere Leute. Alle waren Kumpels von Richard und Rick. Alle schossen sich ab.
    Ich kam gerade von der Toilette zurück, wo ich mich übergeben hatte, als ich zwei Gestalten durch den Flur auf mich zukommen sah. Die eine war hochgewachsen, die andere klein und bärtig. Die kleine Gestalt versuchte fieberhaft, der großen etwas zu erklären, die sich hinunterbeugen musste, um etwas verstehen zu können. Der Große war auffällig gut angezogen, trug eine cool aussehende teure Lederjacke, ein offenes Seidenhemd und nagelneue Jeans. Als sie näher kamen, erkannte ich ihn: Es war Robbie Robertson. Das Mädchen mit dem Klemmbrett und ein paar andere Leute trotteten hinter ihnen her. Robbie musterte mich kurz im Vorbeigehen, während der kleine Kerl immer noch auf ihn einredete. Er erkannte mich nicht, und ich sagte nichts. Er sah jetzt aus wie ein Filmstar: braun gebrannt, dichtes, zurückgekämmtes Haar, Pilotenbrille.
    Rick hingegen war wirklich nett zu mir. Er freute sich aufrichtig, mich zu sehen. Er nahm gerade eine Soloplatte auf und fragte mich, ob ich Lust hätte, bei einem Stück Gitarre zu spielen. »Lieber nicht«, sagte ich, »ich hab seit Jahren nicht mehr gespielt.« Also saßen wir da, tranken, koksten und sprachen ein Weilchen über die alten Zeiten, bevor ich ihn fragte: »Hey, hast du jemals wieder was von Skye gehört?«
    »O Mann, Skye. Ich hab sie einmal gesehen, vor ein paar Jahren. Es war in … Moment, war es in San Diego? Nein, San Francisco, ’74, auf der Tour, die wir mit Bob gemacht haben. Nach der Show kam sie mit ihrem Mann hinter die Bühne, irgend so ein Immobilien-Heini, wohl ein Freund von Bill Graham.«
    »Wie war sie so?«
    »Total erwachsen. Es war komisch. Früher war sie so verrückt …« Wir schüttelten beide den Kopf und schwiegen.
    Die Sonne ging auf, und es waren nur noch Richard und ich übrig, wie so oft damals in Woodstock. »Lass uns an den Strand gehen«, sagte ich. Ich hatte noch nie zuvor den Pazifik gesehen. »Ach Scheiße«, grunzte Richard, »muss das wirklich sein?« Aber er zog seine Sandalen an. Wir gönnten uns beide noch eine dicke Nase Koks, und Richard schnappte sich eine weitere Flasche von dem ekligen orangefarbenen Brandy. Dann gingen wir durch das Studio nach draußen. Der Aufnahmeraum hatte große Schiebetüren, die sich zum Strand hin öffneten.
    Wir torkelten zum Meer hinunter. Ich zog Schuhe und Socken aus, und wir wateten durchs Wasser. Die Brandung umspülte lauwarm meine Knöchel, nasser Sand kribbelte zwischen meinen Zehen. Nicht weit entfernt kam ein Mann auf uns zugerannt. Besorgt stupste ich Richard an. »Warum rennt der Idiot so?«
    »Das ist ein Jogger, Mann. Die gibt’s hier häufig.«
    »Was zur Hölle sind Jogger?«
    »Na ja, Leute, die in der Gegend rumrennen, weißt du. Sie rennen, um, äh, vermutlich, um sich fit zu halten.«
    »Scheiße.« Als der Mann an uns vorbeilief, winkte Richard ihm munter mit der bauchigen braunen Flasche zu und rief: »Morgen! Wie geht’s?« Der Typ rannte – joggte – ohne Erwiderung weiter. Wir lachten uns halb kaputt.
    »Hey«, sagte Richard, »möchtest du Bobs Haus sehen? Ist gleich da vorn.« Er zeigte den Strand hinunter, Richtung Malibu und L. A., wo eine Landzunge sich zu einer kleinen Halbinsel auswuchs. »Er baut seit Jahren an diesem durchgeknallten, beschissenen Haus, Mann. Und rate mal, was passiert – jetzt, wo es so gut wie fertig ist?«
    »Was?«
    »Sara verlässt ihn!«, lachte Richard.
    »Ist nicht wahr? Wie kommt’s?«
    »Ach, du kennst doch Bob. Er konnte einfach nicht aufhören rumzuvögeln. Und das auch noch direkt vor ihrer Nase.«
    Wir gingen weiter den Strand entlang. Nachdem wir eine niedrige Klippe hochgekraxelt waren,
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