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Das Stonehenge - Ritual

Das Stonehenge - Ritual

Titel: Das Stonehenge - Ritual
Autoren: Sam Christer
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    Sonntag, 13 . Juni, Neumond
    Stonehenge
    Nebelschwaden rollen wie Steppenhexen aus Dampf über das nächtliche Wiltshire. Draußen auf den flachen, weitläufigen Feldern recken die Späher den Hals himmelwärts, um einen ersten Blick auf die schmale Silbersichel zu erhaschen. Es ist Neumond, so dass unter einer weiten Umhüllung aus samtschwarzer Dunkelheit nur ein Hauch von jungfräulichem Weiß hervorleuchtet.
    Am Horizont wendet eine bleiche Gestalt unter ihrer Kapuze den Kopf. Eine alte Hand hebt eine wild flackernde Fackel hoch. Gedämpft, aber dennoch dringlich fliegen die Worte von einem Zuschauer zum anderen. Das Opfer ist bereit. Nach seinen Tagen des Fastens ist der Mann hergebracht worden. Sieben Tage ohne Nahrung. Kein Licht, kein Geräusch, keine Berührung, kein Geruch. Sein Körper ist gesäubert von den unreinen Dingen, die er sich einverleibt hat. Seine Sinne sind geschärft, seine Gedanken nur noch auf sein Schicksal gerichtet.
    Die Späher sind in handgewebtes Leinen gehüllt. Als Gürtel tragen sie Schnüre, aus Pflanzenfasern geflochten. Ihre Füße stecken in groben Tierhäuten, genau wie einst bei den Alten, den Gründern der Zunft.
    Die Säuberer entfernen die schmutzigen Kleider des Mannes. Er wird bei seinem Abschied von dieser Welt genauso wenig tragen wie bei seiner Ankunft. Sie ziehen ihm einen Ring vom Finger, eine Uhr vom Handgelenk und vom Hals eine klobige Goldkette, an der das Symbol eines falschen Gottes baumelt. Trotz seiner heftigen Gegenwehr schleppen sie ihn zum Fluss und tauchen ihn hinein. Kaltes Wasser füllt seinen Mund, gurgelt und schäumt in seinen verderbten Lungen. Er kämpft wie ein erschrockener Fisch, in der Hoffnung, dass ihn eine rettende Strömung aus den Händen seiner Fänger befreien wird.
    Es soll nicht sein.
    Sobald er gereinigt ist, zieht man den Hustenden ans Ufer. Die Träger stürzen sich auf ihn und binden ihn mit Rindenstreifen auf eine Trage, gefertigt aus dem Holz der Kiefer, jenes edlen Baumes, der sie schon seit der Eiszeit begleitet. Sie hieven ihn hoch auf ihre Schultern und tragen ihn wie stolze, liebende Männer den Sarg eines geliebten Bruders. Er ist ihnen teuer.
    Ihr Weg ist weit – gut drei Kilometer. Südlich des alten Damms von Durrington marschieren sie in Richtung große Allee, hinunter an den Ort, wo die Blausteine und die vierzig Tonnen schweren Sarsensteine aufragen.
    Die Träger beklagen sich nicht. Sie wissen, welche Qualen ihre Vorfahren litten, als sie die mächtigen Steine Hunderte von Kilometern transportierten. Die Astroarchitekten mussten damals Hügel überwinden und Täler durchqueren, ja sogar über stürmische Meere segeln. Mit den Geweihstangen von Rotwild und den Schulterblättern von Rindern hoben sie die Gruben für den Steinkreis aus, wie er heute noch steht. Hinter den Trägern folgen die Jünger – alle männlich und in raue Kapuzenmäntel gehüllt. Sie sind aus ganz Großbritannien, Europa und den entlegensten Ecken der Erde angereist, denn an diesem Abend vollzieht der neue Henge-Meister sein erstes Opferritual. Ein längst überfälliges Opfer an die Götter. Eines, das die spirituelle Kraft der Steine erneuern wird.
    Die Träger erreichen den Fersenstein, jenen massigen, etwas geneigt stehenden Sandsteinblock, dem der Himmelsgott innewohnt. Er lässt alle rundherum wie Zwerge erscheinen, mit Ausnahme der riesigen, achtzig Meter entfernt stehenden Sarsensteine. In der Mitte des Megalithportals flackert ein Feuer, dessen Rauchfinger nach dem Mond zu greifen scheinen. Im Schein dieses Feuers hebt der Henge-Meister nun die Hände. Er hält einen Moment inne, ehe er langsam mit beiden Armen einen großen Bogen beschreibt, um auf diese Weise die Wand aus Energie zurückzuschieben, die zwischen ihm und dem Hufeisen aus hochaufragenden Trilithen besteht.
    »Große Götter, ich spüre eure nie endende Gegenwart. Ewige Erdmutter, erhabener Himmelsvater, wir sind hier zusammengekommen, um euch anzubeten, und beugen in eurer Gegenwart ehrerbietig die Knie.«
    Die geheime Versammlung von Kapuzenträgern sinkt lautlos zu Boden. »Wir, eure gehorsamen Kinder, die Jünger der Geheiligten, sind hier auf den Gebeinen unserer Ahnen versammelt, um euch zu ehren und euch unsere Hingabe und Treue zu beweisen.«
    Der Meister legt über dem Kopf die Handflächen aneinander und verharrt in dieser Position, die Finger im Gebet himmelwärts gerichtet. Die Träger erheben sich und hieven den an die grobe Trage gebundenen jungen
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