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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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einer Ecke und starrte durch den rostigen Maschendrahtzaun in die kollidierenden Schneeflocken über der eisig schwarzen Fläche des East River, als mich Timmy, dieser neunzehnjährige Puerto Ricaner, anstupste, der ein Jahr wegen Autodiebstahls abzusitzen hatte: »He, Mann, sieh mal da drüben.«
    Ich folgte seinem Blick über das Wasser und die South Bronx bis nach Manhattan. Mit der einsetzenden Dunkelheit gingen in den Wohnhäusern die Lichter an. »Da feiern sie heute Abend die Siebziger!«, sagte der Junge. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen: Wie sie die Gläser polierten, die Dips rausstellten, sich vergewisserten, dass genug Eis im Haus war, eine Platte auflegten. O ja, dort drüben im Dakota Building: Koksen und Rum trinken auf einer Millionärsparty. Und daneben die Columbia University, wo Skye studiert hatte. Das erste Jahr über schrieb sie mir noch häufig. Sie wollte mich besuchen. Ich lehnte immer wieder ab. Irgendwann kamen keine Briefe mehr.
    Ich klammerte mich mit beiden Händen an den Zaun und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Meine Schultern bebten. »Alter, bist du etwa am …«, sagte Timmy, »… das ist doch scheiße. Du hast echt Schwein, dass dich außer mir hier keiner sieht.« Er machte sich eilig aus dem Staub.
    Dieses Mal wartete ich, bis Fucker auf der Pritsche unter mir eingeschlafen war. Ich drehte mich zur Wand, presste mein Gesicht ins Kopfkissen und schluchzte lange Zeit vor mich hin.
    * * *
    Es war Johnny Becker.
    Ein State Trooper hatte ihn auf dem Glasco Turnpike wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten. Er war gerade unterwegs, um ein paar Lieferungen zu erledigen. Unter seinem Sitz lagen ein Pfund Gras, ein Beutel Speed und ein paar Gramm Heroin. Scheinbar war ihm in seiner Panik der Führerschein heruntergefallen. Hilfsbereit, wie die Leute in Ulster County nun mal sind, hatte sich der Bulle gebückt, um ihm bei der Suche zu helfen, und dabei die glitzernden Zellophantütchen entdeckt. Sie brachten Johnny auf die Polizeistation nach Kingston und informierten die Drogenbehörde. Die wiederum brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass Johnny in Kalifornien wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz als kautionsflüchtig gemeldet war. Ihn erwarteten mindestens zwanzig Jahre. Er musste nicht lange überlegen, um uns ans Messer zu liefern.
    Sie fanden meinen Schuhkarton: noch eine Viertelunze Heroin, Koks, LSD, Diätpillen, drei verschiedene Sorten Gras, eine Handfeuerwaffe und rund fünftausend Dollar in bar.
    Ich blieb ebenfalls nicht allzu lange standhaft. Ich verpfiff meine Jungs von der 10 th Avenue, kaum dass man mir einen Deal vorgeschlagen hatte. Bis der durch war, dauerte es allerdings einige Tage. In der Zwischenzeit hatte die Kunde, dass Johnny und ich verhaftet worden waren, längst bei all unseren Kontakten in der Stadt die Runde gemacht. Als die Cops die Türen eintraten, fanden sie lediglich ein leeres Apartmenthaus vor. Da die Adresse alles war, was ich für sie hatte, war ich jetzt alles, was sie noch hatten.
    Der Richter hörte aufmerksam zu, als der öffentliche Verteidiger aus dem Gutachten vortrug, das mich als Jungen aus gutem Hause schilderte, der einen dummen Fehler gemacht hatte und darauf hoffte, eines Tages seine vielversprechende Uni-Karriere fortsetzen zu können.
    O ja, der Richter hörte zu. Er nickte verständnisvoll. Er schüttete sich ein Glas Wasser ein und trank einen Schluck. Er raffte seine Notizen zusammen, räusperte sich – und gab mir zwölf Jahre.

fünfzehn
    »The hill’s too steep to climb …«
    Los Angeles, 1977 • Ich war zum ersten Mal in Kalifornien und natürlich viel zu warm angezogen. Ich trug ein dickes Flanellhemd, T-Shirt und Jeans. Ich knöpfte das Hemd auf, zog es aus der Hose und fächerte mir Luft zu, während der Verkehr, der nur ein paar Meter entfernt auf dem Santa Monica Boulevard an mir vorbeirauschte, Staub und Abgaswolken über den Bürgersteig blies.
    Ich schlürfte mein Bier und wartete nervös auf Alex. Um die Mittagszeit waren die Tische draußen voll besetzt mit gut aussehenden, braungebrannten Menschen, die Weißwein und Mineralwasser tranken und Salat und gegrilltes Hähnchen aßen. Überall gedämpftes Lachen, das Klirren von Geschirr, der Duft von Essen. Ich war hungrig, ein Nebeneffekt des Knastaufenthalts. Wenn man rauskam, wollte man ununterbrochen essen. Als ich vor ziemlich genau drei Wochen aus Fishkill entlassen worden war, hatte ich noch am selben Tag den
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